Warum wir neue Metaphern brauchen.
Ein Essay zur Zukunft der Post-Kollaps-Gesellschaft.

Im Jahr 1982 freuten sich die Ost-Balladeure von »Karat« über einen ihrer größten Hits: »Tanzt unsere Welt mit sich selbst schon im Fieber? Liegt unser Glück nur im Spiel der Neutronen?« Leider weckte der Song über die nukleare Bedrohung des Blauen Planeten seinerzeit auch im Westen nur Melancholie; um aufzurütteln war der Sound zu faltenfrei. Sänger Herbert Dreilich konnte damals nicht ahnen, dass das »Fieber« (im Folgenden kommen noch viele Anführungszeichen …) zu neuer Bedeutung kommen würde. Allerdings lässt sein Sohn Claudius – ja, Karat gibt’s noch – mit fast identischer Stimme statt der »Neutronen« heute die »Dämonen« spielen – was mich zu einer diagnostischen Rundschau veranlasst:

Abgesehen davon, dass es in der DDR politisch unkorrekt gewesen wäre, von »Dämonen« zu singen, hat offenbar die Erkenntnis der Notwendigkeit von Selbstverantwortung und zivilem Ungehorsam in den vergangenen dreißig Jahren ihren Stachel verloren. Zwar gibt es heute eine Unzahl mahnender Initiativen, doch scheinen sie unserem Freie-Fahrt-System vor allem dazu zu dienen, sich ein gutes Gewissen zu verschaffen. Ob sie große Namen tragen, wie »Die Grünen«, »Greenpeace«, »Amnesty International«, »Foodwatch«, »Attac«, »Ärzte ohne Grenzen« und »Kopfbahnhof 21«, oder als »Bewohnte Landschaften«, »Bürgerliste Lassaner Winkel« oder »Initiative Hauptstraße ohne Raser« nur von kleiner, lokaler Bedeutung sind – die gesättigte Wendegewinngesellschaft nutzt sie als Schwamm, der das Unmutspotenzial der weniger Zufriedenen aufsaugt, so dass es geordnet in gewaltfreien, von polizeilichen »Konfliktmanagern« begleiteten Demonstrationen und bürokratisch einwandfreien Antragsverfahren entsorgt werden kann. Unvergessen Wolfgang Schäubles Ermunterung der Protestierer vor dem Heiligendammer G8-Gipfel: Wenn Bürger »aufmerksam machen wollen, dass es nicht so weitergehen kann mit Afrika oder mit der Klimapolitik, dann ist das nur zu begrüßen« (Spiegel Online am 26. Mai 2007). Anfang der 1980er Jahre war die Reibungshitze größer. Das nach 1968 gewachsene kritische Selbstbewusstsein in den veränderungswilligen Subkulturen ließ allerorten Gruppierungen entstehen, die einen fundamentalen Wandel der Weltentwicklung herbeisehnten und dies in neuen Formen des Zusammenlebens und der politischen Aktion sichtbar machten. Viele der damals geprägten Wörter sind heute verschwunden: »Nato-Doppelbeschluss«, »Pershing II«, »SS-20«, »Neutronenbombe«, »Schwerter zu Pflugscharen«, »Friedensgebet«. Andere sind geblieben: »Marschflugkörper«, »Bürgerforum«, »Menschenkette«, »Sitzblockade«, »Kernkraftwerk«. Einige hängten sich mit Entschlossenheit an das Fahrwerk des Doppeldeckers »militärgestützter Kapitalismus«, um ihn am Abheben zu hindern. Es reichte nicht: Heute sieht ein wachsender Teil der Bevölkerung nur noch die Abgasstreifen der zum Überflieger mutierten »Weltwirtschaft« am fernen Himmel. Die aktuelle Boom-Konsumwelt ist von der Zeit des sozio-kulturellen Aufbruchs (die sogenannten Kulturkreativen wurden erst 1995 als klassifizierbare gesellschaftliche Kraft in den USA identifiziert) offenbar so weit entfernt, dass wie in vor-aufklärerischen Zeiten »Dämonen« für die Zustände auf der Erde herhalten müssen. Die »Neutronen« immerhin banden uns alle als Mittäter in das globale (das Wort »Globalisierung« bereichert erst seit den 1990er Jahren den allgemeinen Wortschatz) Fiebergeschehen ein, gibt es doch keinen Unterschied zwischen einem Bomben-Neutron und einem Menschen-Neutron. Texter Norbert Kaiser hatte jedenfalls klar vor Augen, bei wem die Verantwortung liegt: »Uns hilft kein Gott, unsre Welt zu erhalten.«

Auch wenn die »Neutronen« seit der Verschrottung der letzten bekannten Bombe jenes technischen Zuschnitts im Jahr 1992 (haben vielleicht die Chinesen noch welche?) ihre öffentliche Bedeutung verloren haben, so stehen sie doch als Menetekel für ein Weltbild, das dringender (R)Evolution bedarf. Der »Fiebertanz« der Welt gerät außer Rand und Band, die Neutronen »spielen« nicht mehr, sie werden im Großen Hadronenkollidierer aufeinandergeschossen, um im Blitz ihrer Vernichtung (»Annihiliation«) »Erleuchtung« über den Aufbau der sichtbaren Welt zu gewinnen. Mehr denn je werden heute die Erzmetaphern erkennbar, die den Lauf der Dinge definieren. Im tiefsten Grund unserer bürgerlichen Identität leben wir noch immer in der mittelalterlichen »Festung«, von der aus »Glücksritter« in Nadelstreifen und weißen Mänteln ausrücken, um sich die »Erde untertan« zu machen, Macht zu »erobern« und »reiche Beute« nach Hause zu bringen. Solange Schlagzeilen titeln: »Erneuter Rekordgewinn bei Apple« und wir in der nächsten Zeile ehrfürchtig lesen dürfen, wie der Konzern von einem »Paukenschlag«, für den Millionen von iPad-Enthusiasten ihr Geld hingegeben haben, zum nächsten »eilt« – und nicht vom erfolgreichen »Schrumpfer«, dem es gelungen ist, die Festungsmauern einzureißen, die Wachen abzuschaffen, Gemeinschaft zu stiften und den ökologischen Fußabdruck seiner Lebensführung unter den Wert 1 zu senken –, prägt die Erzmetapher des Reichtümer einsammelnden, »stürmenden Helden« das Wertesystem, an dem unsere Welt inzwischen zu zerbrechen droht. Eine dem kritischen Zustand des Weltganzen angemessene, mütterlich sorgende, nährende Grundhaltung kann so nicht erblühen.

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Wir sind beim Thema. Als Erzmetaphern bezeichne ich die grundlegenden Bilder, in denen unser Denken wurzelt. Sie sind das nicht weiter zu potenzierende Konzentrat kollektiver und persönlicher Erfahrung und daraus abgeleiteter Annahmen bzw. damit kongruenter Traditionsübertragung durch Erziehung, Ausbildung und gesellschaftliche Einordnung. Sie gelten unhinterfragt als selbstverständlich, als das, was die Normalität definiert. Sie sind die Fundamente jeder Kultur.

Fragen wir uns Abendländer: Ist der »Mensch des Menschen Wolf«? Ein »gefallener Engel«, eine biologische »Maschine«, die »Krone der Schöpfung«, der »nackte Affe«, die »Pest des Planeten«? Ist er der »Hüter des Lebens«, »Diener der Schöpfung«, »Kind von Mutter Erde«, das »Bewusstsein Gaias«? Oder haben wir noch gar keinen Begriff für unser Verhältnis zum Weltganzen, der weder negativ noch positiv von Selbstüberschätzung zeugt? Ist die zentrale Heldengestalt unserer Kultur der erfolgreiche »Eroberer« und »Freibeuter« oder ist es die »Gärtnerin«, die ihre Mitmenschen den Anbau von Nahrung lehrt? Ist es der »Krieger«, der die »Feinde« erschlägt und seinem Clan »Neuland« sichert, oder ist es der »Peacemaker« (siehe Oya 5), der den Krieg beendet und Versöhnung als Grundlage gedeihlichen Miteinanders stiftet? Die Erzmetapher »Festung« zeugt die Weltbilder aller Yang-dominanten Kulturen: Männliche und weibliche Helden sind maskulin, sie sind gepanzert, tragen Waffen, vergießen ihr Blut für ein »Vater«land, orientieren sich am linearen Flug ihrer Speere und Raketen und konstruieren daraus Fortschritt, stetiges Wachstum und Castoren, sind hart zu sich selbst, hierarchisch und machen die Welt zum verkäuflichen Objekt. Ihre Mantren kreisen um Erfindung, Produkt und Gewinn – selbst die hippen DJs der »grünen« oder neuerdings »blauen« Ökonomie wiederholen diesen merkantilen Dreisatz. In Yin-Kulturen sind die zentralen Symbole Kreis – das Drehen des Mahlsteins – und Doppelspirale – der Rhythmus von Wachsen und Vergehen. Die männlichen und weiblichen Helden sind feminin. Die Erscheinungen der Welt sind subjektiv und je einzigartig sich selbst gehörend, eingebunden in Zyklen von Geburt, Wachstum, Schrumpfung und Tod. Ihre Lieder handeln von der Fülle des geschenkten Lebens, erjagt oder gesammelt, von Aussaat, Pflege und Ernte, vom Reichtum der sozialen Fähigkeiten und von Schönheit. Das Land gilt ihnen als »Mutter«.

Sind wir dazu fähig, die in unserem Kulturraum mindestens seit der Bronzezeit epigenetisch verankerte Yang-Erzmetapher »Festung« auszutauschen gegen ein Bild, das Yin-Qualitäten besitzt? Oder, besser, gegen ein Bild, das die beiden Prinzipien integriert und zu harmonischer Balance führt? Von der Antwort auf diese Frage hängen Gestalt und Zukunft der Post-Kollaps-Gesellschaft ab.

Lautet sie Nein – und wahrscheinlich glauben die wenigsten ernsthaft, dass sie anders lauten könnte –, wird uns der wichtigste Baustein des Neuen fehlen, und die Kultur wird sich in der fortdauernden Reparatur des einsturzgefährdeten babylonischen Turms erschöpfen, aus dem die Menschheit keinen Ausgang findet.

Lautet sie Ja – und ich halte die Möglichkeit dazu fest in meiner Vision –, erfüllt der Mensch nichts Geringeres als seine Aufgabe: Er erinnert sich daran, wie er »gemeint« ist, an seinen Wert und Platz im Gefüge des Ganzen – und das kann nach allem, was wir heute über die Natur unserer Planetin wissen, nicht Ausbeutung und Zerstörung, sondern nur Kooperation und Hege sein.

Es gibt gute Gründe für das Ja: Hybris lässt sich erkennen, indem man die Augen öffnet und sieht, dass uns ein ganzer Himmelskörper ernährt, Demut lässt sich üben, verinnerlichen und praktizieren, indem man sein Herz öffnet und Dank in die Welt entlässt, Güte lässt sich entfalten, indem man zum Mitgefühl findet.

Haben uns nicht ebenfalls Jahrtausende lang die »großen Seelen« der Menschheit den rechten Weg gewiesen? Jetzt geht es uns erstmals wirklich alle an. Warum sollten wir nicht den »Quantensprung« schaffen (ein seltsam mechanistischer Begriff für ein nicht-lineares, nicht-lokales Phänomen)? Wo alles dafür vorbereitet ist? Die richtigen Gedanken, die richtigen Notlagen, die richtigen Ereignisse, Katastrophen und Umstürze und Krisen sind da und mit ihnen Millionen tatkräftigster Menschen, die nach der neuen großen Geschichte lechzen.

Wie aber könnte die Erzmetapher für eine zukunftsfähige Post-Kollaps-Kultur lauten? »Brunnen«? »Garten«? Wohl kaum, denn was begrenzt oder knapp ist, droht, »Eigentum« zu werden und schließlich wieder hinter Festungsmauern zu verschwinden – und seien diese noch so »demokratisch«, »partizipatorisch« oder »anarchisch« bepinselt. Wir müssen Bilder finden, die nicht ideologisiert und nicht auf eine Keule geklebt werden können, die von sich stets erneuernder Fülle, ausdauerndem Wohl handeln, Bilder, in denen keine Angst vor dem Verhungern, dem Zukurzkommen steckt, die mit Schenken und Dankbarkeit zu tun haben, die das unbändige, fantastische Leben feiern und dem Erhalt der geschenkten Fülle alle Hingabe widmen. Das mag schwer sein und, da wir endliche Wesen sind, nicht vollständig gelingen. Doch schon das Nachdenken darüber und die stete persönliche, undogmatische Ermahnung, die Festungs-Metapher in die Vergangenheit sinken zu lassen, sind viel wert – auch wenn wir meinen, das längst verstanden zu haben.

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Solange wir in der Technik des stillen Co-Denkens durch bloßes Aneinanderlegen der Stirnen – lateinisch »frons«, die Stirn, »con«, zusammen; »konfrontieren«, »Konfrontation«: die Stirnen aneinanderlegen – nicht so geübt sind, dass wir eindeutig wissen, was im je anderen Gehirn gerade vor sich geht, und wir auch averbale Information unmissverständlich übertragen können, bleibt die Sprache das zentrale Werkzeug, um die Welt miteinander zu teilen, um uns mitzuteilen.

Grob gesagt, besteht unsere Sprache aus direkten Benennungen, wie »Leuchter«, und Metaphern, die etwas, wofür es keine direkte Benennung gibt, durch Übertragung der Ähnlichkeit umschreiben, wie z.B. »Armleuchter«, wobei hier in erster Linie der konkrete Leuchter mit zierlichen, armförmig (da unser »Mind« verkörpert ist, bezieht er die vornehmlichen Metaphern aus Ähnlichkeiten mit dem Körper, z.B. Hügelnase, Flussmündung, Buchrücken, Stuhlbein, ökologischer Fußabdruck …) seitlich ab»zweigenden« (Übertragung aus der Botanik) Kerzenhaltern gemeint ist und erst in zweiter Linie die weitere Metapher für »Dummkopf«, die wiederum einen diminutiven (»verniedlichenden«) Euphemismus (»Beschönigung«) zur Vermeidung des »unanständigen« Schimpfworts »Arschloch« (in dieser Verwendung selbst eine Metapher) darstellt.

Mit diesem komplizierten Satz will ich daran erinnern, dass Sprache komplex ist und zum größten Teil aus mentalen Gestalten besteht, die unsere Innen- und Außenwelt auf ganz und gar unstoffliche Weise abbilden – daher »Bilder«; »Metapher« kommt von griechisch »meta«, über, hinüber, und »pherein«, tragen – und die wir pausenlos mit Hilfe von Bezügen, Analogien, Assoziationen etc., dem sogenannten Kontext, interpretieren, um uns schließlich mit dem Glauben zufriedenzugeben, wir wüssten genau, wovon unser Gegenüber spricht, wenn sie oder er vom »romantischen« Sonnen»untergang« schwärmt. Weder geht ja die Sonne unter, noch ist das Verschwinden der Sonne hinter dem sich entgegen unserer Blickrichtung (konventionsgemäß westlich) weiterdrehenden Horizont an sich romantisch. In Form nachprüfbarer Tatsachen führt nur die Interaktion gewisser Frequenzen aus dem von uns »Lichtspektrum« genannten Ausschnitt des ansonsten als unendlich vermuteten Bereichs elektromagnetischer Strahlung mit besonders auf solche Frequenzen abgestimmten Rezeptoren unseres Sinnesapparats sowie das relativ rasche Eintauchen in das vom Sonnenwind verformte Magnetfeld auf der dem Leuchtgestirn abgewandten Seite der Erdkugel, das wir in der »Nacht« durchreisen, zur Ausschüttung gewisser Chemikalien in unseren Körpern, Botenstoffe, die unsere Herzfrequenz, den Hautwiderstand, die Aktivität der Tränendrüsen verändern. Dadurch wächst das Anlehnungsbedürfnis – und das alles natürlich nur, wenn die Umstände stimmen und unsere Wahrnehmung nicht durch Beziehungsstress, Blasendruck oder andere Ablenkungen beeinträchtigt ist.

Womöglich spüren Sie hier ein Unbehagen und fragen sich: Was will er sagen? Warum seziert er so Schönes und zerstört das »warme« Gefühl, indem er mich aufdringlich über die »kalte« Materialität belehrt? Erklärung: Mir liegt daran, das unübersehbare Feld des notwendigen Wandels im Denken zu eröffnen, das wir uns meiner Meinung nach erüben müssen, wenn die neue Kultur – so es in der Post-Kollaps-Gesellschaft überhaupt Aussicht auf eine solche gibt – nicht bloß eine leicht angepasste Wiederholung des Bisherigen sein soll. Und dazu gehört eine scharfe Wahrnehmung der Prozesse, in denen sich die Welt in uns abbildet. Denn es ist – so sagen es die von uns hochbezahlten Wissenschaftler – keineswegs »die Welt« als solche, sondern nur das dünne Filtrat von ihr, das durch die Schlitze unserer Welterfahrungsrezeptoren passt, woraus unser Bewusstsein (was ist das überhaupt?) ein mehr oder weniger plausibles, im Alltagsbetrieb einigermaßen widerspruchsfreies – eben: – »Bild« zusammensetzt. (Manche meinen, so auch ich, dass dieses »Innenbild« ein Hologramm sei, das das Ganze in seinem kleinsten Teil zeige, dass unsere Rezeptoren in Wahrheit kein Filtrat von »draußen« nach »drinnen« lieferten, sondern uns sinnlich vollkommen, ohne »Innen« und »Außen«, mit der Welt verschränkten und wir so doch die ganze Welt erkennen könnten. Wer weiß es?)

Metaphern funktionieren nur, wenn die Kommunizierenden die als Metapher verwendete konkrete Benennung kennen und wissen, also eine Erfahrung mit dem konkret Benannten gespeichert haben. Andernfalls kann die Übertragung nicht hergestellt werden, und die Metapher bleibt unverstanden. Das erlebte ich jüngst an einem griffigen Beispiel: Vertreter der Ecuadorianischen Regierung berichteten, dass sie Pachamama (»die mütterliche Schenkerin des gesamten Seins«, vulgo »Mutter Erde«) in ihre neue Verfassung aufgenommen hätten, um die Natur vom auszubeutenden Objekt in eine Entität zu überführen, die Trägerin eigener Rechte ist. Die Metapher »Mutter Erde« wurde von einigen europäisch-urban sozialisierten Teilnehmern der Veranstaltung als esoterischer Quatsch abgelehnt. Und freilich fällt es Menschen – Männern zumal –, die konkrete Mütterlichkeit als peinlich, besitzergreifend, irrational, gefühlsüberbordend und anderweitig traumatisch erfahren haben, schwer, unbefangen und frei sich verströmende mütterliche und die dazu komplementären väterlichen Qualitäten zuzulassen und selbst zu entwickeln. Solange das Mutterbild in die Festungs-Metapher eingezwängt bleibt, wird die gepanzerte Industriewelt die Kindesbeziehung indigener Kulturen zu ihrer großen Ernährerin nicht verstehen – das sage ich, ohne zu idealisieren. Doch dürften den meisten Leserinnen und Lesern Beispiele aus dem Freundeskreis bekannt sein, wo die Festungs-Metapher, die auf der (mechanischen) Erfahrung beruht, dass Panzerung vor Verletzung schützt, schließlich durch eine existenzielle Krise des »Kriegers« erschüttert wird, die den Wechsel zu lebensfördernden, organischen Bildern möglich macht, oft sogar erzwingt. Erstaunliches Ergebnis ist häufig, dass man, indem man den »Kampf« um eine vermeintliche Freiheit »von« etwas beendet, die ungemein starkmachende Freiheit »für« etwas gewinnt. Ist es nicht so, dass mich gerade die Fähigkeit, mich frei »von« ständigem Emanzipationszwang »für« eine vertrauensvolle Beziehung zum Leben als Ganzem – repräsentiert durch meine leibliche »Kindes«beziehung zur »Mutter«planetin Erde – zu entscheiden, erst vollends zum aufgeklärten Menschen macht?

Das zeigt eine weitere Hürde auf: Wenn nur ein kleiner Teil der Menschen die neuen Bilder an die Stelle der alten gesetzt hat, funktioniert die Sprache nur unvollkommen, da dem größeren Teil das neue Weltbild, das auf den veränderten Erzmetaphern aufbaut, verschlossen bleibt. Die »Halbinseln des guten Lebens« transportieren nur dann ihren vollen positiven Gehalt, wenn die Kommunikationspartner erstens wissen, warum es Halbinseln und nicht Inseln sind, zweitens erfahren haben, was ein gutes Leben ist, drittens die inneren Voraussetzungen zur Verwirklichung eines guten Lebens realisiert haben und, viertens, wissen, dass damit eine lebensrettende gesellschaftliche Unterströmung gemeint ist, die bereits seit langem existiert und eine vielfältige, mutmachende Praxis hervorgebracht hat. Fehlt die zum Verständnis der Metapher nötige Erfahrung, bleiben die Halbinsulaner aus Sicht des Mainstreams eine zu vernachlässigende Minderheit und ist das gute Leben eine Illusion versponnener Versager. Eine kulturkreative Bildungsaufgabe auf dem Weg in die Post-Kollaps-Gesellschaft?

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Den Metaphern nahe stehen abstrakte Begriffe. »Zukunft« ist so einer. Es gibt nichts Konkretes, das so benannt werden könnte. Auch »Vergangenheit« und »Gegenwart«, »Freiheit«, »Liebe«, »Freude« sind abstrakt. Sie existieren – vermutlich – nicht ohne einen zur Synthese ihres Gehalts, ja zur Ideenbildung nach Menschenart überhaupt fähigen neuronalen Apparat, den wir landläufig mit unserem Gehirn gleichsetzen. (Dass diesem »Apparat« noch tiefere, struktive Grundqualitäten dessen, was wir »Welt« nennen, zugrundeliegen, ist anzunehmen; schon kurzes Nachdenken darüber fördert jede Menge Bausteine des Neuen zutage.)

Es stellt sich die Frage: Haben Tiere, Pflanzen und Steine eine jeweils eigene Zukunft? Oder nehmen sie nur an unserer Zukunft teil – ihnen selbst nicht auf menschliche Art bewusst –, weil wir sie als Objekte »außerhalb« von »uns« in unsere Zukunft »einbauen«? Bei Hunden, Pavianen und Delfinen ist man sich nicht so sicher, zeigen diese Geschöpfe doch neuronale Leistungen, die auf ein zumindest rudimentär menschenähnliches, konsistentes Denkvermögen hindeuten. Im Großen und Ganzen aber spricht der Mensch nur seiner eigenen Gattung die Fähigkeit zu, sich selbst zu erkennen und aus diesem »Ich denke, also bin ich« die Vorstellung einer von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft reichenden Geschichte zu konstruieren. Mir »schwant« (was vermutlich nichts mit den mythischen Schwänen, die Unheil voraussagen sollen, zu tun hat, sondern eine Korrumpierung des Worts »wähnen« ist), dass wir uns in dieser Beziehung irren und, da unser Denkapparat nur solches Denken zulässt, das mit ihm möglich ist – was auch die Vorstellung von völlig anders gearteter »bewusster« Kommunikation mit dem Weltganzen eisern, richtiger: eiweißern begrenzt –, wir nie und nimmer »wissen« können, ob nicht auch Pflanzen, Einzeller und Kristalle eine ihnen entsprechende Wahrnehmung von ihrer Existenz haben und daraus etwas mit unserem Zeitbegriff Vergleichbares am »Leben« erhalten. Zwar können wir mit unseren feinen Messgeräten Reaktionen anderer Entitäten beobachten und interpretieren, doch ist es immer das menschliche Gehirn, das interpretiert. Hier kommt es zum Zirkelschluss, denn menschliche Neuronen können nun mal nicht wie pflanzliche Organe »wahrnehmen«, »denken« oder vielleicht »schnuppern« – oder »blobben«, »kalunkeln«, »fstmylngaunrzøbwrn« oder » – U — U U — U U …«, was dem »Pflanzeln« (oder »Fischeln«, frei nach Morgenstern) analog dem menschlichen Sprechen vielleicht als Dada-Idee näherkommen mag.

Da unser Geist verkörpert ist und ihm ausschließlich die Wahrnehmungs- und Ausdrucksorgane zur Verfügung stehen, die der Körper bereitstellt (das ist der »Embodied Mind«, den George Lakoff in die linguistische Debatte eingeführt hat), ist es unvermeidlich, dass das bisher Gesagte wie auch das Folgende von anthropozentrischen Annahmen und Metaphern nur so strotzt. Aus der Perspektive eines Bakteriums sieht die Welt ganz anders aus. Die bakteriozentrische Weltsicht kennt weder mich, die Hirschkuh im Wald, den algenüberzogenen Stein oder den vergammelnden »Paradiesapfel« (vulgo »xitumatl«, Tomate). Sie kennt vermutlich nur unter Lebensgefahr zu überwindende Wüsteneien zwischen stationären und beweglichen Biofilmen unterschiedlicher Verschattung, in denen die Stoffwechselprodukte gewisser Kollegen für ein schützendes Habitat und fette Nahrung sorgen. Die Tatsache, dass mein Körper von 100 Billionen Mikroorganismen besiedelt ist, sollte genügen, die Erzmetapher »mein Körper« in Frage zu stellen. Womöglich gehört er weder »mir« noch der »Bakterienheit«, die den mir »eigenen« Körper bewohnt wie die Menschheit die Planetin Erde. Was aber wollen wir an die Stelle der Erzmetapher »Eigentum« setzen? Gehört nicht die »Allmende« (das gemeinsame Gut, das alle pflegen, so dass es noch die Kindeskinder ernährt) zu den Bausteinen des Neuen? Und ist es nicht so, dass die Welt außerhalb der Körpermembran (eben nicht: »Festung«) genauso zum Körper gehört wie das Körperinnere? Woraus sollte der Körper seine Substanz bilden, wenn nicht durch die ihm ständig zufließenden Geschenke des Körperäußeren? Welche neuen Bilder erzeugt die Vorstellung solcher intimer, lebenswarmer Verschränktheit von Innen und Außen, von Ich und Du, die ja schon auf der stofflichen Ebene weit über den Tod hinausgeht? Wie ändert sich mein Lebensgefühl, wenn ich höre, dass, um nur eines zu nennen, jedes Phosphorteilchen in meinem Leib statistisch bereits achttausendmal in einem anderen Organismus verkörpert war? Sehen wir ein, dass die armselige Eindimensionalität unseres gegenwärtigen Weltbilds untauglich ist für eine Menschheit, die zu ihren vollen geistigen, emotionalen und materiellen Fähigkeiten erwachen will? Die Chance dazu ist da, denn der sich ankündigende Kollaps ist ja nichts weiter als die persönliche Existenzkrise im Kollektiven. Sie erschüttert das alte System und schenkt uns die Gelegenheit, unsere Erzmetaphern zu (r)evolutionieren.

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Ich selber habe eine beeindruckende Erfahrung mit der Umwidmung zweier Erzmetaphern gemacht. Im Jahr 1987 errang meine Großfamiliengemeinschaft in einem zweijährigen Rechtsstreit mit dem Freistaat Bayern den in Deutschland bisher einzigen Freispruch wegen Schulverweigerung (2 OWi 46 Js 32069/88). Um jene Zeit engagierte ich mich für die Freien Alternativschulen in der BRD, und es lag nahe, dass wir für die jungen Menschen in unserer Gemeinschaft und ihrem Umfeld selbst eine Freie Schule gründen wollten. Der Rechtsstreit forderte von uns eine tiefe Besinnung auf unsere wirklich, wirklich wahren Motive, und so kam es in der Auseinandersetzung mit Mitdenkern wie dem Philosophen Bertrand Stern zur Aufdeckung zweier bis dahin verschleierter Begriffsinhalte. Da war einmal das Wort »Kind«, scheinbar die einfache Benennung eines »Objekts«. Tatsächlich aber bezeichnet »Kind« nicht nur sachlich einen Menschen bestimmten Alters und bestimmter Fähigkeiten und Bedürfnisse. »Kind« ist vielmehr mit einer Unzahl von Übertragungen aufgeladen, die von dem Gefühl der Abhängigkeit (von der Mutter, siehe oben), der Inferiorität, des Erzogenwerdenmüssens, der Versagensangst, des Behütetwerdenmüssens, kurz, eines Gefälles an Wissen, Können und Macht geprägt sind. Uns aber ging es darum, jeden Menschen als Subjekt zu würdigen und allen in unserem Beziehungsfeld dazu zu verhelfen, sich in Freiheit selbstbestimmt entfalten zu können. Wir erkannten, dass wir das wirklich, wirklich ernst meinten und nicht von irgendeinem Lebensalter abhängig machten. Wie aber konnten wir »Erwachsenen« den Menschen, die sich in den frühen Abschnitten ihres Lebensbogens befanden, zwar fördernd, aber nicht manipulativ begegnen, wenn wir das Wort »Kind« unreflektiert mit den unterschiedlichen Erfahrungen unserer je eigenen Kindheiten befrachteten, das Wort also nicht nur als Bezeichnung einer bestimmten organischen und mentalen Konstitution, sondern als Hülle für ein schier unentwirrbares Emotionsbündel unsererseits, in dem zusätzlich die Angst vor der staatlichen Autorität und dem drohenden Entzug des Sorgerechts keine unwesentliche Rolle spielte, verwendeten? Ähnliches galt für das Wort »Schule«. Was genau bezeichnet das Wort? Ein Gebäude? Eine Methode? Eine Ideologie? Wir mussten einsehen, dass uns das Adjektiv »frei« in unserer Idee von »Schule« in eine Metaphernfalle gelockt hatte: Wie kann etwas frei sein, das an ein Feindbild gebunden ist, ja dieses unmittelbar braucht, um sich in Abgrenzung davon erst zu definieren? Solange es also die »Regelschule« schaffte, uns als Gegenmodell zu dem, was wir unter selbstbestimmter Bildung verstanden, zu dienen, war unsere Fantasie nicht frei »für« etwas, lebten unsere Entwürfe nicht aus sich selbst heraus, wuchs das, was wir als notwendig fühlten, um menschliche Entfaltung im – wie wir heute sagen – »lebensfördernden« Sinn zu ermöglichen, zu unterstützen und zu begleiten, nicht so heran wie das Gemüse in unserem »Bio«garten (Was für eine Pervertierung der Bilder: Der Totalherbizideinsatz macht aus dem Agroindustriellen keinen »Totspritz-Landunwirt«, er bleibt »Bauer«, als wäre er der rechtmäßige Erbe des Nährstands; wer jedoch dem Giftgeschäft widersteht, muss sich auch nach 40 Jahren »Bioland« noch als »Öko«bauer diskriminieren lassen.), dem wir selbstredend die Freiheit ließen, »natürlich«, das heißt wesensgemäß, zu gedeihen. Die ideologische Bindung an das Gegenmodell ließ unser Konzept nicht zum Baustein einer neuen Kultur werden, sondern machte es im besten Fall zur Reform des Bestehenden, im schlechteren Fall zum Alibi in einem korrupten Machtapparat zur Aufrechterhaltung eines die Lebensgrundlagen zerstörenden Gesellschaftssystems.

Wir verzichteten also zwei Jahre lang strikt auf die Verwendung der Wörter »Kind« und »Schule«. Es war eine Erfahrung, die zu meinen wichtigsten zählt. Das Wort »Kind« ließ sich nicht durch ein neues ersetzen. Unsere Versuche wirkten verkrampft, und der Ersatzbegriff »der junge Mensch« wurde zum geflügelten Wort, das einerseits unsere Hilflosigkeit vor der Macht der Sprache ausdrückte, andererseits aber auch unsere Ernsthaftigkeit bewies, an einer voll verwirklichten Gemeinsamkeit zu arbeiten – an der es selbst in den »freiesten« (»frei« ist ein Absolutum und kann nicht gesteigert werden; was nicht frei ist, ist unfrei, und auch die höchste Stufe der Partizipationsleiter nach Roger Hart ist noch nicht »Gemeinsamkeit«) Gesellschaften eklatant mangelt. Das Wort »Schule« hingegen war leicht auszutauschen. Wir mussten nur vom Ort der »Beschulung« zu einem Ort der Lernlust finden, unsere Versagensängste in Mut umwandeln, und schon war es möglich, einen wunderbaren, sich selbst steuernden Organismus ins Leben gleiten zu lassen, der einer Handvoll »Kinder«, ihren »Eltern« und uns »Begleitern« für vier Jahre unersetzliche Einsichten und Erfahrungen von Freiheit, Solidarität, Freude und gemeinsamem Wachsen schenkte – bis die Beamten der Kultusbehörde und der Polizei das systemgefährdende Experiment gewaltsam beendeten.

Heute kann ich unbefangen sowohl »Kind« und »Schule« sagen und weiß dabei, dass beides für mich etwas anderes bedeutet als für die Mehrzahl meiner Gegenüber – ein klassisches »Reframing« (wörtlich: »in einen neuen Rahmen setzen«) im Lakoff’schen Sinn oder, im Sinn der überfälligen (R)Evolution, ein Bildersturm im Denken. Zur Nachahmung empfohlen!

Erschienen in Oya Ausgabe 7 (2011)

In Oya Ausgabe 49 (2018) wurde der Artikel erneut abgedruckt, zusammen mit einer Würdigung von Marlena Sang sowie einem umfangreichen kommentierenden Dialog zwischen Andrea Vetter und Johannes Heimrath. Hier geht es zur PDF-Version.

Leseempfehlung:

George Lakoff, Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn: Politische Sprache und ihre heimliche Macht, Carl-Auer-Verlag, 2009

George Lakoff et al.: The All New Don‘t Think of an Elephant: Know Your Values and Frame the Debate:, Chelsea Green Pub Co, 2014

George Lakoff, Rafael Núñez: Where Mathematics Come from: How the Embodied Mind Brings Mathematics Into Being, Basic Books, 2001

George Lakoff, Mark Johnson: Philosophy in the Flesh: The Embodied Mind and Its Challenge to Western Thought, Basic Books, 1999

Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, Annalen der Naturphilosophie, 1921

Friederike Habermann: Halbinseln gegen den Strom: Anders leben und wirtschaften im Alltag, Ulrike Helmer Verlag, 2009

Johannes Heimrath: Tilmann geht nicht zur Schule. Eine erfolgreiche Schulverweigerung, Drachen Verlag, 1991