Wieder ein Klimagipfel, wieder dasselbe Lied. Wieder sang einer anders: ­Pablo Solón Romero, bis jüngst Boliviens UN-Botschafter, davor Handelsattaché, ­Sekretär der Union Südamerikanischer Nationen. Außerdem Initiator des alternativen Klimagipfels 2010. Mit Respekt übersetze ich sein Klagelied:

»Nach neun Verhandlungstagen ist klar: Dieser Film ist ein alter Hut! Der dritte Aufguss von Kopenhagen und Cancun. Dieselben Rollen. Dasselbe Skript. Wieder werden Papiere bei informellen Meetings und beim Dinner ausbaldowert. Keiner der 193 Mitgliedsstaaten ist offiziell dabei. Wieder wird man das Ergebnis in letzter Sekunde hervorzaubern. In Kopenhagen war es 2 Uhr morgens, in Cancun kam die Vorlage am letzten Tag um 5 Uhr nachmittags auf den Tisch. Wir konnten nicht diskutieren, nichtmal falsche Kommas verbessern.

Bolivens Haltung war beide Male klar: Die viel zu niedrigen Reduktionsverpflichtungen der Industrieländer bei den Emissionen werden die Temperaturen um mehr als 4 Grad Celsius ansteigen lassen. In Cancun stand Bolivien alleine da. Ich konnte nicht anders. Hätten wir dasselbe Dokument unterschreiben sollen, das wir schon in Kopenhagen abgelehnt haben? Wo wir wissen, dass jedes Jahr 350 000 Menschen in Naturkatastrophen umkommen, die der Klimawandel auslöst? Schweigen hätte uns zu Komplizen beim Völkermord und beim Mord an der Ökosphäre gemacht. Ein derart lausiges Papier zu akzeptieren, bloß um nicht allein dazustehen, wäre feige gewesen. Noch dazu, wenn man ›öffentliche Diplomatie‹ predigt und geschworen hat, die ›Erklärung von Cocha­bamba‹ der ›Weltkonferenz der Völker über Klimawandel und die Rechte von Mutter Erde‹, die wir letztes Jahr in Bolivien ausgerichtet haben, zu verteidigen.

Durban ist schlimmer als Kopenhagen und Cancun. Zwei Tage vor Konferenzende kennt niemand den genauen Text, den wir beschließen wollen. Die offiziellen Verhandlungen sind um nichts vorangekommen. Wir wiederkäuen dasselbe wie in Kopenhagen: Die entwickelten Länder wollen ihre Emissionen nach wie vor um höchstens 13 bis 17 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Jeder weiß: Das ist eine Katastrophe! Aber keiner empört sich, stattdessen versucht man, den Mist zu vergolden, indem man ihn in eine zweite Kyoto-Bindefrist einwickelt. Kein Strich wird in den nächsten zehn Jahren dafür getan werden, um die Emissionen zu verringern! Dazu kriegt man noch die Vollmacht für ein neues Abkommen in 2020, das weit hinter dem Kyoto-Protokoll zurückbleibt. Der Film heißt ›Das Große Entrinnen, Teil 3‹. Er zeigt, wie sich die Regierungen der reichen Länder im Komplott mit transnatio­nalen Konzernen aus ihrer Verantwortung zur Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen davonstehlen.

Wer wird diesmal aufstehen und den Schwindel beim Namen nennen? Oder werden tatsächlich alle stillschweigend das Remake schlucken? Traurig, aber wahr: Trotz anderem Setting und anderer Schlussszene endet der Film mit derselben Leier: Die Menschheit und Mutter Erde werden unter einem Temperaturanstieg ächzen, wie es ihn seit 800 000 Jahren nicht mehr gegeben hat.

Meine Güte! Wir wissen, dass es so ist. Dennoch: Hut ab!

Schon wieder grimmig, Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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