Es kann danebengehen: Auf SPIEGEL-online entsetzte mich eine Meldung über die Mundraub-Internetseite. In Oya Nummer 1 hatten wir die damals noch dotternasse Initiative vorgestellt. »Obstbäume zum Plündern finden« hieß nun die Überschrift! Die SPIEGEL-Autorin plapperte: »Überall in Deutschland sprießen öffentliche Obstbäume aus dem Boden mit Früchten zum Pflücken und Mitnehmen. Wo genau die besten Plätze in der Nähe sind, erfährt man unter mundraub.org. Die Plattform hat eine Google-Karte eingerichtet, auf der zahlreiche Fundstellen in ganz Deutschland eingetragen sind. Hinter der Idee steckt die Rechtsform Allmende. Sie bezeichnet einen Besitz, der gemeinschaftliches Eigentum ist. Viele Obstbäume und Beerensträucher, die man entlang von Wegen, Straßen oder auf Streuobstwiesen findet, sind von der Stadt angelegt und öffentlich zugänglich für jedermann. Ob Quitte, Schlehe, Maulbeere oder doch der klassische Apfel – hier dürfte jeder seine Lieblingsfrucht finden. Übrigens: Ab Mai blüht der Holunder. Die perfekte Zeit, um Sirup zu machen.«

Brrr. – Bäume »sprießen« einfach so »aus dem Boden«? Etwa die ehrwürdigen Obstalleen, die oft noch Ochsenfuhrwerke gesehen haben? Welcher Baum steht im Niemandsland, »öffentlich zugänglich für jedermann«? In Mitteleuropa gibt es kein Niemandsland. Die Obstbäume an den Straßenrändern gehören der Kommune, dem Kreis, dem Land oder dem Bund. Jede Streuobstwiese hat eine Flurstücknummer im Gundbuch, und dort steht ein Eigentümer drin. »Besitz, der gemeinschaftliches Eigentum ist«? »Rechtsform Allmende«? Du liebe Güte, Frau Huber! Statt Wikipedia das »Commons«-Buch, Seite 99 ff., lesen!

Was den Holunder angeht, der an meinem Lebensort üppig ­gedeiht, so beobachten wir, dass schon eine maßvolle jährliche Blütenernte die Vitalität der Hollerbüsche beeinträchtigt. Nun gibt mundraub.org durchaus Hinweise, die die »Tragik des Niemandslands« zu verhüten suchen. Entsprechendes findet sich auf der Webseite unter »Über uns«. Und wie die Blogeinträge erfreulicherweise zeigen, schien mehr kaum nötig: Schreiten bislang doch meist nur erfahrene, verantwortungsbewusste Commonen zur Ernte, die sich als Baum-Patinnen und -Paten verstehen, um Erlaubnis fragen, die Fruchtträger pflegen, sie fachgerecht schneiden und vor Vandalisierung schützen. Großartig!

Mit vermehrter Ver-Öffentlichung jener Gemeintümer durch nicht-com­monische ­Medien, ­denen die Sensibilität 3D-animierter Kampfsaurier eignet, werden nun auch Mitbürgerinnen und Mitbürger, deren Fähigkeiten im Fach Enkeltauglichkeit erst schwach ausgeprägt sind, auf die »Gratis-Ressource« gelenkt. »Plünderer« eben. Sollte da auf der schönen Mundraub-Webseite nicht als erstes ein Gebotsschild aufblenden: Obacht!? (Was die von Mundraub bewiesene Achtung der in Obhut genommenen Wesen meint.) Mensch, erweise deinen pflanzlichen Nährerinnen und Nährern Respekt und Dank! Gib was zurück! Hüte sie! Und solange es die gesetzliche Rechtsform »Allmende« nicht gibt: Hilf mit, die Idee von Gemeintum und Gemeinschaffen zu verbreiten!

Wieder mal nachdenklich,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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