Postwachstum oder Post-Kollaps – das ist die Frage. Die beiden Begriffe bezeichnen unterschiedliche Kulturgesten: Postwachstum – das denkt eine Produk­tionswelt mit, die all das, was man heute für segensreich hält, noch bereitstellt: etwa die weltweit scheinbar unbegrenzten Kommunikationsmöglichkeiten in – nach geheimdienstlichem Abgriff – gefühlter Echtzeit oder die erstaunlich hohe Wahrscheinlichkeit, dank Hightech-Medizin einen Herzinfarkt zu überleben, oder die Fähigkeit, mittels »intelligenter« Waffen Bösewichte, die den ungehemmten Zugang zu industriedringlichen Bodenschätzen behindern, punktgenau auszuknipsen (wobei man sich als videogequälter Pazifist fragt, warum Bösewichte, die Tausende von Andersgläubigen auf bestialische Weise abschlachten, von denjenigen, die über die genannten Waffen verfügen, nicht ebenso dringlich – menschendringlich – ausgeknipst werden). Denn das ist ja doch der Ökonomenweisheit letzter Schluss: dass all das, was zur Aufrechterhaltung ebendieser hochtechnischen, hochgradig virtuellen Wirtschaftswelt dient – nämlich ganz banal Stahl, Aluminium, Seltene Erden, Hightech-Gläser, Kunststoffe, Treibstoffe, Kühltheken, Aufzüge, Schrauben ohne Ende, Werkzeugmaschinen, Silizium-Wafer-Schneidegeräte, Hochreinräume, Nanomotoren, Windmühlen, armdicke Kupferkabel, Bewässerungsanlagen, Umwälzpumpen, Keramikskalpelle, Autoreifen, Pizzaschachteln, Joysticks, Antibiotika, Elektronenmikroskope, Sojamilch, Chips, Chips, Chips, und, und, und –, nicht anders, als in Massen hergestellt, kaufmännischen Sinn ergibt. Wie, so frage ich mich und Sie, wohlmeinende Leserinnen und Leser, soll das unter dem Siegel etwa einer nicht mehr zinsgetriebenen Geldwirtschaft funktionieren? Ist die Finanzierung einer Deindustrialisierung wirklich denkbar, wo doch nur die Senkung der sogenannten Grenzkosten (bei www.ecosia.org nach Jeremy Rifkins fragwürdigem Buch »Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft« suchen) ausreichenden Profit verspricht – den wichtigsten Innovationsanreiz der Industrie?

Müssten nicht die Wörter »Schrumpfen«, »Weglassen«, »Bescheiden« eine Attraktivität bekommen, die höher ist als der Glaube, das ja nun wirklich Weltdringliche ließe sich mittels Dezentralisierung der Produktion etwa durch massenhaften Einsatz von Fabrikatoren – 3D-Druckern, die allesamt auf die heutige Hightech-Industrie angewiesen sind – enkeltauglich machen?

Wäre es nicht viel wichtiger, wir würden uns darauf besinnen, was wir zu einem guten Leben wirklich, wirklich brauchen? Würde nicht die Übung einer »Wirtschaft des Wesentlichen« oder einer »Ökonomie der Sinngebung« die besseren Voraussetzungen dafür schaffen, den Übenden ein gutes Leben in dieser Planetin zu ermöglichen, das durch den gegenwärtigen Kollaps der wachstumsgetriebenen Welt hindurchführt und danach – Post-Kollaps! – von unseren Enkelinnen und Enkeln gut weitergeführt werden kann? Ich persönlich bleibe weiterhin dieser letzteren Kulturgeste zugeneigt – und ich wünsche mir, dass die erfreuliche Degrowth-Bewegung es damit genauso hält.

Mit den besten Wünschen für einen erkenntnisreichen Spätsommer,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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