Als ich beim Gemeinschaffen am Hauptteil dieser Oya-Ausgabe die Passage über den Kampfpiloten zu lesen bekam, der bei seiner Hetzjagd über der afri­kanischen Küste jenen aufrechten Menschen gehen sieht und nicht mehr schießen kann – siehe unten –, fiel mir spontan ein Bild aus einem Gedicht von Robinson Jeffers ein, das mir Anfang der Siebzigerjahre wegweisend erschienen war. Ich konnte keine Zeile mehr in mir aufsagen, nur die dreimalige Wiederholung des Worts »alone« – »allein« – hatte sich unauslöschlich meinem Maind eingebrannt. Inzwischen habe ich das Gedicht wiedergefunden, und noch aus einem anderen Grund trete ich jetzt beiseite und mache dem Dichter Platz: Kaum ein anderer sprachmächtiger Mensch hat mir in seinem Werk und Leben ein vergleich­bares oder gar weitergehendes Beispiel dafür gegeben, wie ich als Erdgeborener zu sein hätte, wenn ich Verbundenheit mit dem Weltganzen nicht ­lediglich als sentimentales Konzept, sondern als zelluläre Wirklichkeit annehmen und ­leben können wollte.

End of the World
When I was young in school in Switzerland, about the time of the Boer War,
We used to take it for known that the human race
Would last the earth out, not dying till the planet died. I wrote a schoolboy poem
About the last man walking in stoic dignity along the dead shore
Of the last sea, alone, alone, alone, remembering all
His racial past. But now, I don’t think so. They’ll die faceless in flocks,
And the earth long after mankind is out.

Das Ende der Welt
Als ich als Junge in der Schweiz zur Schule ging, etwa zur Zeit des Burenkriegs, / da war uns klar, dass es die Menschen / so lange geben würde wie die Erde; sie würden nicht untergehen, bevor der ­Planet stürbe. Ich schrieb ein Pennäler­gedicht / über den letzten Menschen, der in ­stoischer Würde die tote Küste / des letzten Ozeans entlangschreitet – allein, ­allein, allein – und über die lange / Vergangenheit seines Geschlechts nachsinnt. Doch heute denke ich anders. Sie werden sterben, gesichtslos, in Scharen / – und die Erde erst lange, nachdem die Menschheit gegangen sein wird.

Das Jahr, in dem Jeffers diese Zeilen schrieb, konnte ich nicht eruieren; es könnte 1954 gewesen sein. Die Prophezeiung erschien erst 1963, ein Jahr nach seinem Tod, in dem postum veröffentlichten Band »The Beginning and the End and Other Poems«. Robinson Jeffers ist weithin unbekannt, galt aber bis zu seiner radikalen Kritik des Eintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg als einer der bedeutendsten Dichter Amerikas. Ich lege ihn Ihnen ans Herz und ­verbleibe mit guten Wünschen für einen katastrophenfreien Spätsommer,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

* »Einmal habe ich eine Geschichte über einen amerikanischen Soldaten irgendwo in Afrika gehört. Sein schrecklicher Auftrag lautete, die Küstenlinie mit einem Kampfjet abzufliegen und die dadurch aufgescheuchten Menschen zu erschießen. Bei einem Flug, er hat die Hand schon am Abzug, sieht er inmitten der durcheinanderlaufenden Menschen plötzlich eine große Gestalt, die, in sich und ihrem Stolz ruhend, mit aufrechtem Gang ihren Weg fortsetzt. Der Anblick geht ihm so nahe, dass sein Finger am Abzug blockiert und er nicht schießen kann. – Diese Geschichte berührt mich, weil ich mich zunehmend frage: Wäre ich dafür gemacht, in mir diese entwaffnende, authentisch ruhige Kraft aufzubringen?«

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