Keine Angst, den Namen, der in der ständigen Informationsflut derzeit am meisten nervt, nenne ich nicht. Doch trotz meines Überdrusses am Was-hat-er-denn-schon-wieder-Schlimmes-angestellt-Hype hole ich eine Frage hervor, auf die ich schon mehrfach Antwort gesucht habe – der Zeitpunkt scheint wieder mal günstig zu sein: Was ist uns das Leben eines Menschen wert? (Für heute nicht die Leben von Bäumen, Küchenschellen, Lerchen, Asseln, Mikroben etc.)

Leider muss ich dazu erneut Zahlen nennen. Die meisten von uns wissen ungefähr, wieviele Menschen bei den Anschlägen vom 11. September 2001 gestorben sind – offiziell gab es 2990 Tote. In den Jahren von 2001 bis 2014 – so das amerikanische Außenministerium – kamen außerhalb der Vereinigten Staaten weitere 369 US-Bürger bei Terroranschlägen ums Leben; innerhalb der Grenzen der USA starben im selben Zeitraum 53 Amerikaner durch – von Menschen mit US-Pass und Aufenthaltserlaubnis begangene – Terrorakte. Im Ganzen beklagte das Land in jenen 14 Jahren 3412 Terroropfer. Eine schlimme Zahl.

Für denselben Zeitraum 2001 bis 2014 weist die Statistik des Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention aus, wieviele US-Staatsbürger im eigenen Land durch Schusswaffen – durch Mord, Selbstmord, Polizeigewalt und aus Versehen – getötet wurden. Es sind – ach, raten Sie, bevor Sie weiterlesen! –

Es sind mehr als hundertmal so viele wie die Anzahl der Terrortoten: 440 092 Menschen wurden in den 14 Jahren des Statistikzeitraums Opfer des Grundrechts amerikanischer Bürger, Schusswaffen tragen zu dürfen (kurzlink.de/­terror-waffen). Für die Folgejahre fehlen noch die Daten, doch gibt der britische Guardian die Zahl der allein durch Polizeigewalt in den Jahren 2015 und 2016 ums Leben gekommenen Amerikaner mit 1146 bzw. 1025 an (kurzlink.de/US-police-killings), wobei die Polizei selbst durchschnittlich 50 in einem Jahr ­getötete Beamte zu betrauern hat (kurzlink.de/police-shot).
Dagegen scheint die Zahl der Fliehenden, die im Zeitraum von 2000 bis Juni 2016 auf ihrem Weg nach Europa ums Leben kamen oder vermisst werden und höchstwahrscheinlich tot sind, zu verblassen: Die umfassendste Datensammlung über diese Tragödie verzeichnet 34 861 Opfer (www.themigrantsfiles.com).

Wissen Sie, wieviele Menschen allein in Deutschland jedes Jahr durch Unfälle im Haushalt ums Leben kommen, vorzugsweise durch einen Sturz? Im Jahr 2014 waren es 9044 Personen (kurzlink.de/unfaelle2014), fast dreimal so viele, wie im selben Jahr im Straßenverkehr starben (3581 Tote). – Nochmal die Frage:

Welches dieser vielen Todesopfer (lassen wir diesmal die Kriegstoten, Katastrophenopfer, Menschen, die an einer Krankheit sterben oder ihren Lebens­bogen aus Altersgründen beenden, unberücksichtigt) ist unseres Mitempfindens mehr wert als die anderen, übrigen? Welche dieser Todesgefahren rechtfertigt die Angst vor dem Fremden? Welches Dekret ist dazu geeignet, mehr »nationale Sicherheit« zu schaffen? Auf welcher Grundlage entscheiden wir, für welche poten­ziellen Opfer wir uns mit welcher Leidenschaft einsetzen?

Wie immer herzlich,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

Hier geht’s zu Oya Ausgabe 42