Glauben heißt nicht wissen. Es hängt von den Satzzeichen, der Großschreibung und der Grammatik ab, welche Nuance gemeint ist: Zu glauben, heißt, nicht zu wissen. Glaube heißt nicht: Wissen! Glauben heißt nicht, zu wissen etc.

Als ich mich in früher Jugend damit auseinanderzusetzen begann, dass ich als katholisch getaufter Mensch an die leibliche Anwesenheit Christi in der gewandelten Hostie zu glauben hätte – mysterium fidei! -, ebenso an die leibliche Auferstehung des Herrn, die körperliche Aufnahme Mariens in den Himmel und weitere sogenannte Geheimnisse des Glaubens, wo doch zugleich ein aufgeklärtes Verständnis der physischen Natur der Welt in Schularbeiten nachzuweisen war, erschien mir für den Erhalt meiner mentalen Gesundheit die Frage als essenziell, ob mensch überhaupt an etwas glauben müsse, um Halt im Leben zu finden, oder ob es auch ausreiche, sich ausschließlich auf das Wissen zu stützen (das in der Zeit des Wirtschaftswunders, der materialistischen Doktrin folgend, selbstverständlich Objektivität beanspruchte).

Sowohl Erfahrungen, die ich mangels besseren Wissens als transmateriell einordnen musste, als auch zunehmende Kenntnis des Bergs aus Unbekanntem in der Wissenschaft lenkten meine Antwort auf die Frage unausweichlich zum Nicht-Wissen hin – und damit auf das Wagnis, ein Leben zu führen, das im Aushalten der Leere Sinn findet. Auch wenn ich es schon oft gesagt habe: Es hilft, sich daran zu erinnern, dass uns die Kosmologen vorrechnen, wir lebten in einem Universum, das lediglich zu 5 Prozent aus der uns bekannten Materie bestehe, der Rest sei »dunkel« und unserem stofflichen Hirn unzugänglich.

Bei all den Fragen zu Glauben, Irrglauben, Aberglauben, Gewissheiten, Überzeugungen, Behauptungen von Wahrheiten – einzigen gar –, Weissagungen, Lügen, Verschwörungen, allseligmachenden Weltrettungskonzepten, Erlösungslehren und dergleichen muss ich meist passen. Ich wünsche mir manchmal, wenigstens für einen Moment lang aus der 95-Prozent-Welt des »dunklen« Universums auf unsere 5-Prozent-Welt schauen zu können, obwohl ich vermute, ich könnte dann aus dem kosmischen Gelächter über unsere unglaubliche Dummheit nicht mehr zurückfinden. Ich gebe zu: Nur leidlich komme ich damit zurecht, dass wir Menschen unsere Geschicke nach ­Mythen steuern – technischen, religiösen, politischen, psychologischen oder kulturellen – und daran glauben, selbst der physisch manifestesten Gefahr der Zerstörung der materiellen Grundlagen unserer Existenz durch das Predigen von ­Lösungsmythen, sofern sie nur fantastisch genug sind, entgehen zu können.

Aber weiß ich’s? Könnte es denn nicht auch sein, dass alle diejenigen, die an Reptiloide, Anastasias, Geo-Engineering, die Entzifferung unserer Botschaft auf der Voyager-Sonde durch Außerirdische, an ein ruhmreiches Amerika, die kapitalistische Weltverschwörung, Morgellons, den Sieg der Vernunft (oder der revolutionären Massen), den Wandel zu einer guten Welt (weil wir schon so viele sind) und Ähnliches glauben – dass alle, die daran glauben, wir oder irgendwelche anderen Mächte könnten uns retten, recht haben?

Bleiben Sie gesund im Kopf! Herzlich,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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