Diesmal habe ich mich mit meiner Chefredakteurin gestritten. Ich hatte geschrieben: »Könnte es sein, dass das ganze Unheil damit begann, dass einer unserer Vorfahren weiter dachte als seine Zeitgenossen, nämlich dass es eine tolle Sache wäre, müsste man nicht jedesmal von neuem einen Stein suchen, um eine Kokosnuss zu knacken, sondern könnte stattdessen einen einmal für geeignet befundenen immer bei sich tragen? Wahrscheinlich steht am Anfang unserer Probleme nicht die Erfindung des Faustkeils, sondern die Basttasche für denselben, die direkte Vorfahrin des heutigen Werkzeugkastens. Im Werkzeugkasten bricht sich das ganze Spektrum menschlicher Ingenieurskunst, deren gelingendes Ergebnis das Gehirn des Heimwerkers genauso wie das des Gentechnikers, ja auch des Sprengstoffgürtelbauers mit Dopamin flutet.«

Warum, fragte sie, stelle ich die unschuldige Basttasche an den Anfang unserer Probleme? Gibt es nicht Kulturen, die ihre Selbermachtechnik der Reibemühle, des Spinnrads und des Säuglingstragetuchs zwar verfeinert haben, aber unter der Schwelle der Ausbeutung von Mensch und Natur geblieben sind? Und gibt es nicht auch einen Ingenieursgeist, der nichts anderes im Sinn hat, als die Gefahren der bisher entwickelten Industrie auf lebensfördernde Art zu bannen? Wäre es gerade zu Zeiten des sichtbaren Niedergangs nicht besonders angebracht, dort anzusetzen, wo wir heute sind, nämlich mitten in einer nicht mehr zu beseitigenden Industrie- und Fremdversorgungswelt? Oder wolle ich etwa zurück in eine Zukunft zwischen Steinzeit und Mittelalter?

Es stimmt: »Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.« Ich selbst beschwöre ja die Kraft der Vision als Brücke, die uns über den Abgrund der Krise in die Post-Kollaps-Gesellschaft führen kann. Ist es aber nicht gerade deshalb essenziell, zu verstehen, dass Hermann Hesses »Zauber« das Potenzial des Entgleisens ebenso enthält wie das des Gelingens? Am Ende sind es nicht die Basttasche und nicht der Faustkeil, die das Entgleisen begünstigen. Zum Mord genügen die bloßen Hände. Es ist die Natur unseres Geistes, die entscheidet, ob wir das, was wir in unserem Werkzeugkasten haben, zur Stärkung der Herzverbindung mit allem Leben nutzen – oder um alles in die Luft zu jagen.

Muss also der Komfort einer Waschmaschine, meines Laptops, unserer weltweiten Kommunikation wegradiert werden, wenn wir an das gute Leben denken? Muss alles nicht mehr selbstzumachende Lebenserleichternde, das wir aus der Basttasche gezaubert haben, stets das Ergebnis einer in ihren Auswirkungen mörderischen Industrie sein? Vermutlich nicht zwingend. Wir müssen nur bereit sein für die Mühsal, jene neue Welt des guten Lebens wider alle Macht der Wahrscheinlichkeit zu schaffen. Ihr Zauber mag einstweilen nur von Utopisten auszumachen sein. Es muss ihn aber geben, sonst hätten nicht so viele Menschen, mich eingeschlossen, das Gefühl, vor einem neuen Anfang zu stehen.

Tun wir das Naheliegende, und machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach dem Zauber, der dem Anfang des neuen Jahrs 2011 innewohnen mag!

Viel Erfolg dabei wünscht Ihnen

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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