Hätte der Mensch einen Schnabel, und wären seine vorderen Gliedmaßen gefiederte Flügel, wäre er zwar noch immer kein Engel, aber er wäre heute garantiert in einer anderen Lage. Allein die bereits zu Saurierzeiten zusammengewachsenen drei Fingerstrahlen hätten wohl kaum zur Entwicklung der ­Motorsäge geführt, womöglich nicht einmal zur Herstellung der schon erwähnten Basttasche (Oya 6). Zwar bringen Webervögel erstaunliche Geflechte zustande, und wir wären mit Schnabel und Krallen wohl nicht weniger geschickt beim Nestbau. Aber es gäbe keinen Verbrennungsmotor, und auch die mit Kohle befeuerte Dampfturbine wäre wohl nicht existent. Die Hypothese mag gewagt sein, denn nur weil wir heute das Vorhandensein von Schnäbeln und gefiederten Flügeln mit dem sprichwörtlichen Spatzenhirn zusammendenken, ist ja die Vorstellung nicht abwegig, die Evolution hätte dennoch ein Großhirn mit einer dem heutigen Homo sapiens entsprechenden Denkleistung hervorgebracht …

Dieser Gedankenstrang entwrang sich meinem Gehirn, als es sich bei der Nachricht verzwirbelte, dass trotz der Beteuerungen gewisser Politikerinnen und Politiker, den CO2-Ausstoß drastisch senken zu wollen, der tatsächliche weltweite Ausstoß im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Gigatonnen auf die neue historische Rekordmarke von 30,6 Gigatonnen gestiegen ist. Ich stellte mir vor, wie es klänge, würden die Worte von Fatih Birol, dem Chefökonomen der Internationalen Energie-Agentur IEA, die angestrebte Maximal­erwärmung der Erde um 2 Grad Celsius sei angesichts der neuesten IEA-Studie nur noch »eine nette Utopie« (Guardian, 29.5.2011), aus einem Schnabel gackern, und ich stellte mir vor, wie daraufhin die Regierenden der Welt aufgeregt mit den Flügeln schlügen und schnatternd in Scharen auf und nieder flatterten. Der Effekt wäre derselbe wie der tatsächlich zu beobachtende: Entschlossene politische Handlungen, die dem Besitz eines angeblich spitzenmäßig ausgebildeten Großhirns zur Ehre gereichten, wären nicht erkennbar. – Ist unsereiner besser? Ich muss gestehen, nein: Denn wenn wir angeblich kulturkreativen Großhirnanwenderinnen und -anwender noch in der augenfälligsten Krise dulden, dass stammhirngesteuertes Machertum das Schicksal der Welt manipuliert, gleichen wir einem weiteren sprichwörtlichen Vertreter der Vogelschar, und der kann noch nicht mal fliegen: Na? Kopf in den Sand? Richtig!

Unser Titelbild ziert diesmal der Handabdruck eines prähistorischen Menschen, weil wir darin den ersten selbstbewussten künstlerischen Ausdruck unserer Gattung erkennen. Ich habe für mich gedacht, ob wir nicht besser den Abdruck eines modernen Gehirns hätten bringen sollen. Sollten wir nicht die Gilde der heutigen Sprayer dazu anregen, in Zukunft die Umrisse von ­Köpfen tausendfach an die Häuserwände zu sprühen, vor allem an die goldenen ­Käfige der organisierten Verantwortungslosigkeit, so dass uns immer vor Augen stünde, um welches Organ es heute geht?

Nach Abfassung zur Futtersuche abgeschwirrt, herzlich,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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