Heute muss ich etwas klarstellen. Ein engagierter Leser warf uns vor, wir plapperten die Lüge vom menschengemachten Klimawandel nach. Auch Peak Oil und andere globale Probleme, auf die wir in Oya lebensfördernde Antworten suchen, nannte er Lügen, erfunden von Leuten, die daraus Milliardengewinn schlagen. Gerade Oya müsse hier doch mal aufschreien und endlich die offiziell unterdrückte Wahrheit sagen, dass das Öl keineswegs zur Neige gehe und der Klimawandel nichts mit dem CO2-Anstieg in der Atmosphäre zu tun habe etc.

Nun stellt sich für Lüge und Wahrheit gleichermaßen die Herausforderung, letztgültige Kenntnis von einer Sache zu haben. Die ist jedoch im Feld der Wissenschaft nicht zu finden, zu deren Urfesten vielmehr der Zweifel gehört: Alles, was sie weiß, ist nur der gegenwärtige »Stand des Wissens«, stetiger schrittweiser Evolution und regelmäßigen Paradigmenwechseln unterworfen.
So halten auch wir uns an das von Sokrates entlehnte Oya-Prinzip, zu wissen, dass wir nichts wissen. Das mündet in eine grundsätzlich fragende, zuhörende Haltung, aus der heraus wir Menschen dazu einladen, ihren Stand des Wissens über eine Sache mitzuteilen – solange sie nicht behaupten, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein. Hören wir, die Menschheit habe in den vergangenen 20 Jahren ein Viertel des fruchtbaren Ackerbodens durch Erosion und Agroindustrie verloren (1), und wir finden keinen Beweis des Gegenteils, dann ist uns das Anlass zur Sorge. Tritt eine andere Arbeit an, die Vermutung, der steigende CO2-Gehalt der Atmosphäre führe zu erhöhtem Pflanzenwachstum, ­global zu verifizieren, und stellt dann fest, dass der Verlust an Biomasse auf der Südhalbkugel im vergangenen Jahrzehnt den Zugewinn auf der Nordhalbkugel bereits übersteigt, so dass wir heute weniger Pflanzenleiber auf der Erde haben als vor 30 Jahren (2), als die Menschheit erst 4 und noch nicht 7 Milliarden ­hungrige Mäuler zählte, dann besorgt uns das ebenfalls. Gleiches gilt bei der Nachricht, in einigen Ozeangebieten kämen auf ein Kilogramm Zooplankton 6 Kilogramm (!) Mikropartikel aus Plastikmüll (3), oder wenn der »Berkeley Earth Temperature Averaging Process« nach erstmalig flächendeckender Ein­beziehung sämtlicher erreichbarer Temperaturmessstationen auf der ganzen Planetin eine Erhöhung der mittleren globalen Temperatur über Land in den Jahren 2000 bis 2009 gegenüber dem Durchschnittswert von 1950 bis 1999 um 0,89 Grad bestätigt (4).

Solange diese Daten nicht falsifizierbar bestritten werden und wenn zugleich die Konsumgütererzeugung exponentiell wächst, Wasser und Luft zunehmend verschmutzen und der Verbrauch von Boden und anderen Ressourcen rapide steigt, nehmen wir an, dass der Mensch dies verursacht und nicht irgendein »natürlicher Prozess«. Verschwörung hin oder her, dies alles ist Ausweis menschlicher Irrtümer, und das halten wir für Grund genug, um auf sämtliche erreichbare Bremsen zu treten. Die Demut des Nicht-Wissens, die zu besonnener Vorsorge führt, ist uns jedenfalls näher als apodiktisch behauptetes Wissen über Wahrheiten oder Lügen, das zudem den Kollateralschaden der ­Diskriminierung von Fragern, Zuhörern und Warnern impliziert.

Machen Sie’s gut, und vermeiden Sie besser die pralle Sonne!

Johannes Heimrath (Herausgeber)

1) Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: »Welt im Wandel – die Gefährdung der Böden«, Hauptgutachten 1994, Economica Verlag, Bonn, S. 3.;
2) Zhao, Maosheng; Running, Steven W.: »Drought-Induced Reduction in Global Terrestrial Net Primary Production from 2000 Through 2009«, in: Science, vol. 329, no. 5994, S. 940–943, 20. August 2010;
3) Moore, Charles J.: »Synthetic Polymers in the Marine Environment: A Rapidly Increasing, Long-Term Threat«. in: Environmental Research 108, 2008, S. 131–139;
4) Rohde, Robert; Muller, Richard, et al.: »Berkeley Earth Temperature Averaging Process«. Berkeley Earth Surface Temperature, Berkeley CA, 2011.

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