Vor ein paar Tagen habe ich mich frühmorgens beim Wetzen der frisch gedengelten Schneide meiner Sense in die rechte Daumenkuppe geschnitten. Nicht sehr tief, aber es blutete heftig. Der Saft eines Spitzwegerichblatts half, die Gerinnung des Bluts zu unterstützen. Während der Latenzphase der Wunde ging ich von der Wiese in die Abstellkammer. Als ich das Heftpflaster aus dem Erste-Hilfe-Köfferchen nahm, hatten sich die durchtrennten Kapillargefäße bereits verengt. Die Thrombozyten verpfropften die ersten Äderchen mit Blutgerinnseln, und das Exsudat reinigte schon den Schnitt. Die heranschwemmenden Entzündungszellen erwärmten das Gewebe um die Verletzung, die Nerven meldeten ansteigenden Druck: Jetzt tat es weh. Das Pflaster klebte ich bereits mit dem guten Gefühl über den Schnitt, dass sich die ersten Fibrinbrücken zwischen den getrennten Zellwänden bildeten. Auf dem Weg zurück zur Sense zog sich das Fibrinnetz schon zusammen und verklebte die Wunde. Im Lauf des Vormittags folgten die ersten Collagenfasern, und bis zum Abend hatten sich so viele neue Zellen zum Granulatgewebe verbunden, dass die Wunde vom Schnittgrund im Daumenfleisch bis an die Hautoberfläche gefüllt und geschlossen war. Ich konnte das Pflaster abnehmen und die absterbenden Hautfetzchen an den Rändern der sich nun bildenden Narbe abschneiden.
Ich bewundere meinen Körper – das hat er alles für mich getan, aus freien Stücken, zielsicher, fehlerfrei, aus eigener Weisheit, mit ruhiger Kompetenz, ohne Gebrauchsanleitung, ohne Genehmigung und ohne dass ich ihn dabei in irgendeiner Weise beaufsichtigen musste. Keine der wuselnden Zellen bezieht ein Gehalt oder fragt nach einem Gegenwert für ihre Leistung. Sie sehen die Arbeit, und – zack! – sind sie zur Stelle und erledigen, was nur sie erledigen können. Perfektes Teamwork, alles greift reibungslos ineinander, keiner kommt zu kurz, und am Ende sieht es so aus, als wäre nichts gewesen. Kein Lob, keine Medaille, kein Urlaub. Keine Ablenkung, kein Fliehen vor der Verantwortung, ja, in der Geschwindigkeit, in der das Heilungswerk vollzogen wird, kann ich sogar so etwas wie Spaß an der Arbeit erlauschen – wenn ich genau hinhöre. Ein Wunder, nicht wahr? Wunderheilung der Wunde.

Zur selben Zeit kämpfen am Bohrloch von Deep Water Horizon topausgebildete und topbezahlte Mitglieder der intelligentesten Spezies in der Planetin Erde vergeblich darum, ein lächerliches Rohr vom Durchmesser einer Handspanne zu flicken, aus dem der Lebenssaft der künstlichen Welt in den Lebenssaft der natürlichen Welt quillt. Und all die Vergeblichkeit verursacht Schmerzen und Leid und kostet Geld ohne Ende …

Irgendwie fassungslos grüßt
Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

PS: Ich wurde gerügt. Ich hätte den Satz von Ervin Laszlo vom letzten Mal doch übersetzen sollen. Er lautet auf Deutsch: »Eine wärmere Welt wäre schon fein, aber bereits 3 Grad Celsius mehr würden die nördliche Hemisphäre für Menschen fast unbewohnbar machen – zumindest für größere Menschengruppen. Machen wir sie also in und mit unseren Herzen wärmer – das wäre sicherer …«

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