Jetzt fahren sie wieder durch unser kleines Dorf, die haushohen ­Eisenspinnen des Sommers, und auf den gewaltigen Proteinfabrikationsflächen, die uns umzingeln, recken sie ihre dürren Spinnenarme 50 Meter in die Breite, und dann spritzen sie aus ihren vielen Drüsen Gift über das arme Grün, das nicht weglaufen kann, das in ununterbrochener Folge im weltumspannenden Netz der Zehn Großen Master-Spinnen genetisch versklavt und in beikrautfreier Isola­tionshaft gefangen gehalten wird. Bald ist das Produkt fertig und trocken, dann heulen breitmäulige Stahlmonster durch die Freiland­fabriken, entreißen den Leibern der Pflanzensklaven die erbgeschwächten Früchte, und dann kommt mannigfacher Tod über all die Kräutlein, die, um ihre kümmerliche Existenz bettelnd, den Weg zwischen die zwangsgezeugten Hybride gefunden haben: Im Glyphosatregen welken sie dahin, quadratkilometerweit bedeckt ein orange­rotes Warnkleid den geschundenen Boden, dem unwissenden Städter ein freudig bestauntes Farbenspiel der »Natur« bietend, dem vergifteten Land­bewohner Trauer und Zorn über die Folgen der Massenpflanzenhaltung ins Herz senkend.

Nun muss ich die Spinnen um Verzeihung bitten, dass ich sie als Metapher für das Negative, Böse hergenommen habe. Die mehr-als-menschliche Welt kennt vermutlich weder das Negative noch das Böse. Wir Menschen sind es, die das Reich der Wirbellosen, der Kerb- und Spinnentiere vernichten – rückblickend zu Beginn gewiss nicht mit böser Absicht, doch heute mit böser Wirkung. Das Werkzeug dafür haben nicht böse Menschen erfunden, sondern leidenschaftliche Tüftler, die in der ständigen Verbesserung des Bestehenden aufgehen und mit ihrem Ingenieursgeist weiterentwickeln, was weiland als segensreicher Ausweg aus Hungersgefahr und Arbeitsmühe galt: mechanisches Ackergerät. Dass die Freude daran, etwas für die Menschengemeinschaft Nützliches zu erfinden, einst unsere heutige Welt hervorbringen würde, die an all dem erstickt, was das Leben so bequem und die Arbeit finanziell einträglich macht, hat wohl niemand geahnt, am wenigsten die Bauern, die die ersten dampfgetriebenen Dreschkästen bestaunten – die ersparten ihnen immerhin ein halbes Jahr Knochenarbeit! Und auch der Wunsch nach Wohlstand, den die frühen Fabrikanten bei ihrem Wagnis, die ersten motorgetriebenen Ackerschlepper in großem Stil herzustellen, im Sinn hatten, ist nicht gleich zu verdammen – oder hätte damals jemand prophezeit, dass der Landmaschinenbau, heute mit der chemischen Industrie unheilig vermählt, einst den Weg zur Kommerzialisierung alles Lebendigen bahnen würde? Heute wird in unendlich größerem Maßstab erfunden und leidenschaftlich gebastelt als vor hundertfünfzig Jahren. Im Unterschied zu damals wissen wir jedoch über die Folgen vergangenen Tuns besser Bescheid als alle Generationen vor uns. Sollten wir daher nicht endlich beherzigen, was schon die mähmaschinennutzenden ­Römer in den Wind schlugen: »Quidqid agis, prudenter agas et respice finem. Was immer du tust: Fang es klug an, und bedenke die Folgen!«?

Lassen Sie sich die Freude am Sommer nicht nehmen! Herzlich,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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