Dieser Tage beschäftigt mich eine Sache, die mich bei verzweigenden Nachdenkversuchen ernsthaft besorgt: Vor unserem Büro stehen die Magnolienknospen so prall von den Zweigen ab, als würden sie gleich platzen. Hinterm Haus blüht eine Kirsche hold vor sich hin. Die Johannisbeertriebe beben vor Spannung, loszulegen. Das kommt schon mal vor, wenn der Dezember mild ist. Was aber, wenn die warmen Dezember beginnen, sich in die Januare hinein zu dehnen und sie stetig wärmer werden – und dann der Kahlfrost kommt, spät, aber heftig? Minus 32 Grad hatten wir hier schon mal im Februar. Nicht nur bei empfindlichen Obstbäumen, sondern auch bei den Laubbäumen hat die Rinde die Temperaturunterschiede nicht verkraftet und ist gerissen. Das hat einige unserer Zeitlupenlebensgefährten schwer verletzt.
Was also, wenn sich der Trend des letzten Jahrzehnts fortsetzt? Dieser Dezember ist noch nicht vorbei und schon der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen – in Deutschland liegt er mit 6,8 Grad Celsius im Mittel um 6 Grad über dem Normalwert! Werden unsere Fruchtgehölze immer früher zu blühen beginnen – und dann erfrieren? Erfahrene Obstplantageure sagen, das hatten wir immer schon mal; es gibt gute Methoden, die Obstblüten vor Frost zu schützen: Frostberegnung, Windmaschinen, Heizen mit dem Frostbuster, Überdachung. Andere meinen, ich solle das Vertrauen in die Pflanzen nicht verlieren, sie würden sich schon anpassen, und im schlimmsten Fall müssten wir halt neue Sorten züchten, die mit dem morgigen Klima besser zurechtkämen.
Mag sein, dass die Bäume in ihrer langwelligen Lebensschwingung viel besser als wir kurzlebigen Menschlein mit dem noch langwelligeren Lebensrhythmus unserer Heimatplanetin verbunden sind und ihre Nachkommen epigenetisch ausreichend dahingehend informieren, dass sich die neuen Sämlinge schon auf das Klima in 30, 40, 100 Jahren einstellen können. Aber wissen das auch die Insekten, die Pilze, die Moose, Zugvögel, eben alles, was in, mit, auf, unter und durch den Baum existiert? Wovon ernähren sich die Winzigen, die von den Haselpollen leben, wenn die jetzt schon fliegen, wo man selbst noch eingewintert ist und dann, beim Aufwachen im Frühling, das große Fressen ausfällt? Und wovon ernähren sich die etwas Größeren, wenn die Winzigen verhungert sind? Und was bedeutet das für die noch Größeren, am Ende für uns?
Wie gut, dass wir nun im taufrischen Weltklimavertrag lesen: Man betone »ernsthaft besorgt«, sich »dringend mit der erheblichen Lücke zu befassen, die zwischen den bisherigen Selbstverpflichtungen der Staaten, den jährlichen globalen Treibhausgasausstoß bis 2020 zu senken, einerseits und andererseits dem Pfad, der eingeschlagen werden müsste, um den globalen Temperaturanstieg deutlich unter 2 °C gegenüber den vorindustriellen Werten zu halten, klafft, und außerdem alles zu tun, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C gegenüber den vorindustriellen Werten zu begrenzen.« Ist wohl alles nur halb so schlimm; wir haben ja auch erst die Hälfte des maximalen Wärmeziels erreicht …
Einen guten Jahresbeginn 2016 wünscht Ihnen wärmstens,
Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)
Hier geht’s zu Oya Ausgabe 36