Viele von Ihnen haben in ihren Reaktionen auf die letzten Ausgaben, in denen wir Oya in Frage gestellt haben, auf vor allem meinen persönlichen Zweifel am Sinn von Wiederholungen beteuert: »Doch, manches muss man immer wieder sagen, damit es zu wirken beginnt!« Wohlan – hier kommt ein Stück, das ich schon zwei-, dreimal genau so oder so ähnlich anderswo geschrieben habe und das mir für das aktuelle Oya-Thema zu wiederholen als sinnvoll erscheint:

Das Umwelt- und Prognose-Institut in Heidelberg, das die Reproduktionsraten in der Biosphäre ermittelt, hat festgestellt, dass jedes Kohlenstoffatom in meinem Körper statistisch bereits rund 600-mal in anderem Leben seinen Dienst getan hat – in einem Grashalm, einem Fadenwurm, Pilz, Adler, Gingkobaum, Grippevirus, in einem meiner Vorfahren, im Brachiosaurus und in einem kalkabscheidenden Bakterium im Urozean, in dem es einst zu Boden sank und zu Kalkstein wurde, bevor der versickernde Regen es viel später, als sich der Meeresboden längst zu trockenem Land aufgefaltet hatte, in den Grundwasserleiter mitnahm, von dem es über eine Quelle, aus der ich trank, in mich einzog. Phosphor, der seltener in der Biosphäre vorkommt als Kohlenstoff, war vor dem Einbau in meinen Körper bereits 8000-mal anderweitig inkarniert, und ein seltenes Spurenelement wie Selen hat schon in 40 000 Lebewesen vor mir freie ­Radikale unschädlich gemacht.

Es beruhigt mich ungemein, zu wissen, dass mein gesamter Körper aus wiederverwendeten Erdteilchen besteht, sozusagen ein Recycling-Leib ist, aus Altem gemacht, um mich eine Zeitlang zu beherbergen und dann ohne Rest zu Kompost zu werden, der zur Gänze, Atom für Atom, in unzähligen anderen, neuen Kindern der Erde wiederaufersteht, so unvergänglich wie die ­Planetin selbst. Die Erde produziert keinen Abfall, die Natur macht keinen Müll. Sie »hinterlässt« nichts, da sich alles ständig in einem ewigen Transformationsprozess ­befindet. Dem organischen Material geht es rasch an den Kragen, und schon sind die Bausteine des Lindenblatts im Leib des Regenwurms wiederzufinden, ist die soeben noch auf dem Acker ihrer Blüte entgegenreifende Möhre in ­Details zerlegt, die mein Organismus in sich einfügt.

Haben Sie sich schon mal im Spiegel betrachtet und tief drin gewusst, dass nichts von dem, was Sie im Spiegel sehen, von Ihnen selbst hervorgebracht wurde? Dass Ihr Körper tatsächlich ein reorganisierter Haufen von Pflanzen- und Tierleibern ist, aus deren Fasern und Säften eine rätselhafte Macht Ihren Körper gebildet hat? Du bist, was du isst – buchstäblich! Und wenn Sie dereinst desintegrieren, »sterben«, dann warten schon Billiarden von anderen, deutlich kleineren Transformatoren darauf, sich die geborgten Bausteine ihrerseits einzuverleiben. Nichts bleibt »übrig«, alles tanzt im ständigen Reigen nanosekundenschneller oder äonenlanger Rekombination. Denn selbst nach dem Hitzetod unserer Planetin in angeblich elf Milliarden Jahren ist alles, was »mich« heute behaust, noch immer da – bereit, zu Bausteinen neuer Sterne zu werden oder am Ende in der Fülle ewiger Stille zu ruhen. Was für eine grandiose Aussicht!

Pflegen Sie die keimenden Karotten in Ihrem Garten! Herzlich,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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