Nun hat Oya eine neue Rubrik bekommen: »Commonie« heißt sie, und eine von vermutlich mehreren möglichen Deutungen des Begriffs finden Sie auf Seite 6. Ich beobachte das mit gemischten Gefühlen. Einerseits freue ich mich darüber, dass der Begriff, den ich in Ausgabe 10 von Oya erstmals vorgeschlagen habe, quasi durch unterirdisches Weiterwachsen so viel Sagbarkeit entwickelt hat, dass er nun als zarter Trieb zum Vorschein kommen kann. Andererseits sorge ich mich ein bisschen darüber, dass er zu schnell verschleißen könnte, indem er nicht genau genug gefasst und nur oberflächlich verwendet wird.

Was nämlich gemeint ist, ist eine Form des Gemeinsamen von idealerweise so hoher sozialer Verbindlichkeit, dass sie das, was wir heute unter Demokratie verstehen, übersteigt und in die Richtung einer egalitären Konsensgesellschaft weiterführen könnte. Dabei darf die Commonie nicht als »Gegenmodell« zu den bisher bekannten Prä-Kollaps-Organisationsformen missverstanden werden. Sie ist eine metamorphische Nachfolgerin der bisherigen Gestaltungen des Zusammenlebens der Menschen untereinander und mit der mehr-als-menschlichen Welt, was so wenig in Gegnerschaft zum Bestehenden steht wie die Puppe eines Insekts zur vorherigen Metamorphosephase der Raupe. Die Puppe kann erst ins Leben treten, wenn die biologische Uhr im Inneren des Raupenorganismus den Prozess der Umwandlung in die Puppe einleitet. Und was für die Raupe die Katastrophe ihres Lebens bedeutet, ist für das Gesamtwesen des Insekts ein ganz regelmäßiger Schritt im Zyklus seiner ununterbrochenen Existenz.

Die Idee der Commonie ist in einen absoluten Freiheitsbegriff gebettet, dessen Erfahrung zugleich höchste Verbindlichkeit bedeutet und am ehesten demjenigen entspricht, was Friedrich Nietzsche in seiner Vorrede zu »Menschliches, Allzumenschliches« als »jene reife Freiheit des Geistes« bezeichnet, »welche ebensosehr Selbstbeherrschung und Zucht des Herzens ist und die Wege zu vielen und entgegengesetzten Denkweisen erlaubt« – ich habe das schon mal zitiert.
Commonien definieren sich allein durch Zugehörigkeit der beteiligten Menschen untereinander, zu ihren Lebensräumen und darüber hinaus zu allen anderen Wesen, die die Körper der Menschen und ihre Lebensräume bevölkern. Dabei ist es fürs Erste unerheblich, ob damit auch schon ein fester Ort beschrieben ist, an dem derart einander und allem anderen zugehörige Menschen leben – der Hof einer Großfamilie, eine Nachbarschaft, ein Stadtteil, ein Dorf, eine Region – oder sich eben eine virtuelle Gemeinschaft von Menschen heranbildet, die über ein gemeinsames Interesse verbunden sind, das sie gemeinschaffend verfolgen.

Letztere ist das, was entstehen könnte, wenn die Beiträge in unserer neuen Rubrik empathisch genug auf die Aufgabe eingehen, herauszufinden, wie wir unsere Fähigkeiten zum Gemeinschaffen entfalten. Darin sind wir alle Lernende. Solange wir diese Haltung nicht verlassen, einander zuhören und in uns die Freiheit »zu vielen und entgegengesetzten Denkweisen« nähren, bleibt meine Sorge um das Wort »Commonie« unbegründet. Vielleicht geht es ja ebenso in den deutschen Sprachschatz ein wie das neue Wort »enkeltauglich« oder das alte Wort »Mütze« (das, aus dem Arabischen kommend, über mittellateinische Versionen schließlich zu seinem kerndeutsch scheinenden Umlaut gefunden hat).

Der Sommer kommt, genießen Sie ihn! Herzlich,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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