Wir leben im wahr gewordenen Traum einer Handvoll weißer Kaukasier-Jünglinge: Bill Gates gründete 1975 im Alter von 20 Jahren zusammen mit Paul Allen, damals 22, die Firma Microsoft. Steve Jobs – Gott hab ihn selig! – war 21, als ihm 1976 Apple einfiel; sein Kompagnon Steve Wozniak war 25. Larry Page und Sergey Brin beschlossen ihre Jugendphase, die laut UNO bis zur Vollendung des 24. Lebensjahrs dauert, exakt zu diesem Zeitpunkt im Jahr 1998 mit der Gründung der Firma Google. 2003 schrieb der 19-jährige Mark Zuckerberg ein Progamm, mit dem seine Kommilitonen attraktive Studentinnen ausfindig machen konnten: Facebook. Heute ist Zuckerberg der sechstreichste Mann auf der Forbes-Liste. Jeff Bezos war schon ein bisschen älter, nämlich 30, als er Amazon gründete, aber die Idee, mit einem Online-Geschäft reich zu werden, muss er schon beim Bestnoten-Abschluss seines Informatikstudiums mit 22 Jahren gehabt haben.
Nun ist die Postadoleszenz – so habe ich es mal von irgendwo rauskopiert – »gekennzeichnet durch sogenannte Statusinkonsistenzen, wie z. B. einer finanziellen Unabhängigkeit bei gleichzeitigem Verbleiben im Elternhaus. Begriffe wie Nesthocker oder Nestflüchter stehen für junge Menschen dieser Phase, die in der Regel zwischen 18 und 29 Jahren angesiedelt wird.« Und: »Der Verstand wird im Allgemeinen gereifter, die Urtheilskraft schärfer, die Phantasie lebhafter, oft auf das Geschlechtliche gerichtet; meist wird das Urtheil u. der Wille noch von Gefühlen, Trieben, Leichtsinn u. Unbestand beherrscht.« (Pierer’s Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 184.) Dass aber die ganze Welt inzwischen am Tropf der Erzeugnisse jener Jünglinge hängt, gehört wohl zum Erstaunlichsten, was unser stultisches (von lateinisch stultus = dumm) Zeitalter prägt.
Postadoleszenter Leichtsinn und ein lümmelhafter Spieltrieb – im Verein mit dem schier unbegrenzten Kapital innovationsgieriger Machbarkeitsfetischisten sind sie die Ursachen dafür, dass wir heute einem völlig außer Kontrolle geratenen Flächenbrand namens Digitalisierung ausgesetzt sind, ob wir wollen oder nicht. Inzwischen habe ich schon das dritte TAN-Generatorkästchen für je 35 Euro erwerben müssen, um die Konten von drei Banken online bedienen zu können – warum? Weil ich kein sogenanntes Smartphone habe, das offenbar zunehmend als Körperteil vorausgesetzt wird wie der Zeigefinger oder die Nase.
Hätten jene Jungs vor 40 Jahren »Limits to Growth« gelesen und – statt Computercode zu schreiben – das getan, was viele jüngere Jugendliche heute tun, nämlich – statt die Konsumsucht der Menschheit anzuheizen und Milliardäre zu werden – unbeirrt und einstweilen noch kaum korrumpiert nach einem Stopp der Megamaschine zu rufen und die Erdüberhitzung so ernstzunehmen, wie sie es ist: Wer weiß, ob wir heute so nahe am Abgrund stünden, wie wir es paradoxerweise mit Hilfe genau jener digitalen Werkzeuge, die der jugendliche Spieltrieb hervorgebracht hat, wissen. Ich hoffe inständig, für die derzeitige Fridays-for-Future-Generation möge weniger »Leichtsinn u. Unbestand« gelten als: »Der Verstand wird im Allgemeinen gereifter, die Urtheilskraft schärfer«!
Bitten Sie um Regen! Herzlich
Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)
PS: Als Tim Berners-Lee 1991 der Welt das kostenlose World Wide Web schenkte, war er immerhin schon 36 Jahre alt. Reich geworden ist er damit nicht.
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