Auf meinen Hinweis auf die postadoleszenten Urheber des Digitalisierungswahns in der letzten Ausgabe hin wurde ich gefragt, was ich gegen die Digitalisierung einzuwenden hätte. Allein in der Agrarindustrie werde sie unverzichtbar sein, wolle man je ohne Ackergifte auskommen. Deren Verbot sei doch eines meiner Ziele! Ein Heer kleiner fotoelektrischer, autonomer Feldkrabbler, die hier mit einem Laserblitz ein Beikräutlein verdampfen und da ein Tröpfchen Nährlösung fallenlassen, sei doch die Enkeltauglichkeit schlechthin! Die künstliche Intelligenz mache Dinge möglich, von denen wir vorhin noch geträumt haben.

Nun, ich weiß nicht, ob die Landnächte schöner klängen, würde das ­Surren rastloser Jät- und Düngeautomaten das Grillenzirpen übertönen. Auch verstehe ich unter Intelligenz etwas kategorisch anderes als das, was derzeit mit dem Etikett »künstlich« gehypt wird. Am wenigsten aber begreife ich, warum bei all diesem Gedöns um die angeblich unverzichtbare Digitalisierung von allem und jedem eine Reihe offensichtlicher Stolperfallen im Denken ausgeblendet bleiben.

Nehmen wir die Stickstoff-Problematik als Beispiel. Durch Einsatz der künstlich intelligenten Roboknechte, die nur dort ein Tröpfchen Pflanzennah­rung hinspritzen, wo ihre Chips eine Unterversorgung errechnen, soll die ungezügelte Freisetzung von reaktivem Stickstoff – unter anderem in Form von Nitrat und Nitrit, Lachgas (NOx), Ammonium und Ammoniak (NHx) sowie z. B. in Eiweißen organisch gebundenem Stickstoff (Norg) – ein Ende finden. Das Stockholm ­Resilience Centre meint, die Planetin könne rund 30 Millio­nen Tonnen reaktiven Stickstoff im Jahreslauf unschädlich machen. Gegenwärtig pumpt die Menschheit jedoch über 120 Millionen Tonnen davon in ihr Überlebenspaket namens Biosphäre und ruiniert so ihre Gesundheit, das Klima, die Böden und die Meere! Die globale Landwirtschaft verursacht zwei Drittel der Last, den Rest emittieren Indus­trie, Verkehr, Energie-, Abfall- und Abwasserwirtschaft zu gleichen Teilen.

Um also auf die dem Naturhaushalt zumutbaren 30 Millionen Tonnen zu kommen, müssten wir vor allem der »konventionellen« Landwirtschaft die Freisetzung von reaktivem Stickstoff komplett untersagen. Niemals, ruft da ein Teil des so wirtschaftenden Nährstands – dann können wir die wachsende Menschheit nicht versorgen! Der andere Teil beschwört die digitale »Landwirtschaft 4.0«; diese würde den Stickstoffüberschuss deutlich reduzieren – versprochen!

Was aber bedeutet »deutlich«? Angenommen, es gelänge der Landwirtschaft, ihre Stickstoffemissionen jährlich um 3 Millionen Tonnen zu senken (das wäre sehr ambitioniert!): Dann wären es heuer 90 Millionen Tonnen zu viel, 2020 noch 87 Millionen Tonnen, dann 84 Millionen Tonnen zu viel und so fort. Bis das Ziel von Null Kilogramm reaktivem Stickstoff erreicht wäre, schrieben wir das Jahr 2050 – und bis dahin hätten wir weitere 1395 Millionen Tonnen Stickstoff zu viel freigesetzt. Würde dann die Welt noch so aussehen wie heute? Oder hätten sich die Lebensbedingungen gegenläufig zur Stickstoffreduktion verschlimmert? Wieviele Milliarden solcher Maschinchen wären für diesen weltweiten Kraftakt nötig? Würde die Industrie diese Agroknechte ganz ohne zusätzlichen Verbrauch von Lebensquellen herstellen können? Würden alle Länder mitmachen?

Einen Sommer frei von solchen Denkstolperfallen wünscht Ihnen

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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