»Im Vertrauensraum transparent sein« – lange hat mich kein Sprachbild derart angerührt wie dieses. Silke Helfrich und David Bollier sei Dank für dieses exzellent eingefangene Muster gelingenden Gemeinschaffens!

Inzwischen habe ich die vier Wörter an unterschiedlichsten ­Schauplätzen menschlichen Zusammenwirkenwollens klingen lassen: Sie müssen langsam, und eines nach dem anderen abschmeckend, deklamiert werden, so dass der ­»Vertrauensraum« auch wirklich entsteht, wenn das Wort ausschwingt – jeder Mensch weiß auf der Stelle, was damit gemeint ist –, und ist dann das »transparent« so einfach in diesen Raum hineingesagt, dann schwebt es darin wie eine große, schillernde Seifenblase, und gar niemand kommt auf die Idee, es könnte sich um ein Fremdwort handeln, das man nicht so richtig versteht. Und dann noch das »sein« – nicht werden, nicht sich um etwas bemühen, nicht etwas wollen, schlicht s e i n. Da gehen die Zwerchfelle runter, der Atem wird tiefer, und es ist klar wie nie, dass es keinerlei Anstrengung kostet, sich sichtbar zu machen: ­Warum nicht jetzt, eben im Sein, wo doch der Vertrauensraum da ist, ganz um uns herum, von uns geschaffen und gehalten? Wir sehen uns – und zugleich ist da noch eine weitere kostbare Qualität der Transparenz: Durchsichtigkeit.

Was habe ich mich seinerzeit an dem Transparenz-Begriff der »Piraten«-­Partei et cetera gestoßen; heute gibt es sogar Transparenzgesetze, darunter ein Entgelttransparenzgesetz! Alles musste und muss nun »transparent« sein – die totale Kontrolle (Was verdient meine Kollegin?), Ausgeburt subtilen allgegenwärtigen Misstrauens! – Jetzt aber klärt sich das Mem (Wikipedia: »Das Mem […] ist Gegenstand der Memtheorie und bezeichnet einen einzelnen Bewusstseinsinhalt, zum Beispiel einen Gedanken. Es kann durch Kommunikation weitergegeben und damit vervielfältigt werden und wird so soziokulturell auf ähnliche Weise vererbbar, wie Gene auf biologischem Wege vererbbar sind. Ganz entsprechend unterliegen Meme damit einer soziokulturellen Evolution, die weitgehend mit denselben Theorien beschrieben werden kann.«): Durchsichtigkeit ist etwas anderes als das, was als »gläsern«, durchaus mit Angst vor Geheimnissen verbunden, markiert wird – gläserne Manufaktur (VW), gläserne Behörde (z. B. Hamburg), gläserne Bürger (Sie und ich). Die Durchsichtigkeit im Vertrauensraum hingegen ist materielos, schwerelos, ohne Dichte. Die Menschen im Vertrauensraum geben sich einer Haltung hin, die Wohlwollen entfaltet. Sie setzen dem, was durch sie hindurchströmt, nichts entgegen, geben sich als »Lichtsäuger« (Fritz-Albert Popp) gegenseitig zu erkennen und erlauben sich, das, was vom je anderen womöglich gegensätzlich zu dem Meinigen klingt, als positiven Beitrag zum mehrdimensionalen Ganzen zu würdigen. –

Naja, ganz so schwelgerisch geht es schon nicht zu, wenn ich die vier Wörter im Bauausschuss, in einem parlamentarischen Workshop, in einer Vorstandsrunde anbringe. Aber es hilft ungemein: Zu überraschend ist vielleicht die plötzliche Erkenntnis, dass wir als soziale Wesen tief drinnen einander gewogen sind – und dass es manchmal nur eines schönen Sprachbilds bedarf, dies an die Oberfläche zu heben und wirksam sein zu lassen.

Eine schöne (Jahres-)Wendezeit wünscht Ihnen, wie immer herzlich,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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