Als ich zur ersten Ausgabe von Oya im Frühjahr 2010 einen Titel für die Kolumne auf der letzten Seite suchte, stand mir der Klimawandel als die größte Herausforderung unserer Zeit vor Augen. Zugleich dachte ich an die wichtigste Qualität, die wir zwischen uns Menschen unter dem Eindruck von gesellschaftlichen Kollaps-Prozessen pflegen und vermehren sollten und die Joseph Beuys mit einer Fähre zwischen Herz und Herz hin und her schicken wollte: Wärme.

Inzwischen sind elf Jahre vergangen. Das Weltklima ist in zunehmendem Tempo wärmer geworden. Die acht wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen lagen im vergangenen Jahrzehnt. Die Wärme als Bindekraft zwischen den Menschen hingegen hat im globalen Maßstab abgenommen. Da ist eher ­Brücken verbrennende Hitze zu spüren, rasche Erregbarkeit und Wut, und zugleich weht ein zu Menschenopfern bereiter, hassgeschwängerter Reifhauch durch die zwanghaft genutzte Kommunikationswarenwelt, in dem die Beuys’sche Wärmefähre festfriert. Ob es den zwischen diesen Polen liegenden Wärmeinseln Oya’schen Zuschnitts, die es im weiten Erdenrund immerhin auch und wachsend gibt, am Ende gelingen wird, einerseits lindernd und andererseits auftauend zu wirken oder »unsere« Macht ausreicht, irgendein überlebenswichtiges Blatt fundamental zu wenden, werden wir eher früher als später erfahren.

Im gewachsenen Oya-Team jedenfalls hat sich ein großes Maß an Wärme entwickelt. Das vergangene Jahr hat die Oya-Menschen so intensiv zusammengeführt, dass jetzt – nach elf Jahren Hüterschaft des Gründungsimpulses – meine Funktion als Herausgeber enden darf. Schon seit der Ausgabe 40 haben wir über neue Strukturen des Publizierens geforscht, und ich bin froh, dass mein seit längerem vorgetragener Wunsch, mich aus der operativen Arbeit an Oya zu lösen, im Redaktionskreis mit Wärme zur Verwirklichung gebracht wurde.

Nun also: Statt eines Herausgebers wird Oya in Zukunft eine Art Ältestenrat haben, in dem ich nur noch beratend mitwirken werde. Beim Nachdenken über Oya sollen ja weiterhin die Stimmen aller Generationen gehört werden.

Einige von Ihnen wissen, dass ich ein landwirtschaftliches Projekt initiiert habe, das sich der Frage stellt, ob und wie sich ein postkollapsgerechtes subsistentes Leben unter den Bedingungen einer wärmeren Welt nähren ließe. Dies und die politische Arbeit zur Ächtung der Ackergifte – Voraussetzung für eine systemische Wende in der Landwirtschaft – werden mich weiter in Atem halten.

Und noch etwas: Seit langem irritiert es mich, dass selbst in »unseren« Kreisen ein kaum hinterfragtes Menschenbild dominiert, das aus dem 19. Jahrhundert stammt. Es integriert weder die seit hundertzwanzig Jahren gewonnenen Erkenntnisse über den Stoff, aus dem wir bestehen, noch das kosmologische Mysterium, demnach unsere ach so wichtige Welt nur fünf Prozent des Inhalts des Universums ausmacht, noch die Tatsache, dass »ich« eine Commonie von unzähligen Lebewesen »bin«, die »mich« mit allen anderen Lebewesen menschlicher und nicht-menschlicher Natur verbinden. Darüber möchte »ich« nachsinnen können, ohne vom Trachten nach Verschriftlichung abgelenkt zu werden.

So verabschiede ich mich hier aufs Herzlichste von Ihnen, liebe Lesende aller Identitäten, und wünsche Ihnen Kraft für die Dinge, die vor uns allen liegen.

Ihr Johannes Heimrath (von nun an nicht mehr Herausgeber)

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