Nein, nicht hier auch noch Fukushima. Das Thema wird andernorts hervorragend gewürdigt. Nur die Normpresse hat sich wieder beruhigt. Man könnte glauben, es sei nichts gewesen. Es wurmt mich, und es beschämt unsere Zunft, dass ein unverändert katastrophaler Super-GAU heute, nach Wochen ununterbrochen gleicher Gefährlichkeit, keine Schlagzeile mehr macht.

Gewöhnung dürfte das größte Hindernis auf dem Weg zu einer nachhaltigen Kultur sein. Wobei Kultur doch das Nicht-Nachhaltige ausschließen sollte. Denn wenn das durch den gestaltenden Menschen Hervorgebrachte, das wir »Kultur« nennen, auch noch seinen Kindern und deren Kindern nützlich sein soll, dann geht’s nicht anders als nachhaltig, das beteuert heute selbst die CDU.

Und das dachten wohl auch die Ahnen der heutigen Japaner, als sie vor 600 und mehr Jahren Megalithen an den Küsten errichteten, um die Anhöhen zu markieren, bis zu denen historische Tsunamis ins Land vorgedrungen waren. ­Associated Press hat kürzlich Bilder von solchen Steinen veröffentlicht, auf denen sogar Inschriften eingemeißelt sind: »Hochgelegene Wohnstätten bedeuten Frieden und Harmonie für unsere Nachgeborenen. Gedenkt des Desasters der großen Tsunamis. Baut keine Häuser unterhalb dieser Stelle!« – Spätestens in der vierten Generation geht die Erinnerung an Katastrophen verloren, und damit die Bedeutung der Mahnmale. Nur sakrale Überlieferungen scheinen die Kraft zu besitzen, länger im Gedächtnis zu bleiben. Steter Ritus hält auch nach 2000 Jahren den Tod des Gekreuzigten in der Erinnerung der Christgläubigen wach. Der von der Nuklearindustrie bedrohte Aborigine-Stamm der Mirrar sagt, die Regenbogenschlange, ihre mächtigste Gottheit, sei auch die Hüterin des Urans. Seit Jahrzehntausenden wissen sie, dass der Mensch die Ruhe der Kräfte, die er nicht kontrollieren kann, in den heiligen Bergen nicht stören soll.

Nun ist sie schon zum zweiten Mal binnen fünfundzwanzig Jahren aufgewacht, die Schlange. Dumm gelaufen. Ich stelle mir vor, wie unsere Nachfahren im Jahr 12 000 darüber rätseln, was mancher eigenartige Hügel beherbergen mag, nachdem – falls es dann noch so etwas wie Archäologie geben sollte – Ausgrabungen auf riesige Betonwürfel in ihrem Inneren gestoßen sind, deren Alter die dann lebende Forscherzunft auf das stultistische Zeitalter (lat. ­stultus, dumm, töricht) um 2000 n. Chr. datiert haben werden. Und irgendwelche Mega­lithen mit irgendwelchen Inschriften werden vermutlich auch wir aufstellen müssen, um unsere Nachgeborenen bis in die fünfhundertste Generation vor den Tausenden Tonnen radioaktiven Materials zu warnen, das wir ja irgendwo einbetonieren und verbuddeln müssen. Wer wird dann noch imstande sein, zu ­lesen: »Gedenkt des Desasters der Kernspaltung. Baut nicht auf diesem Hügel!«?

Vielleicht sollten wir zur Sicherheit eine rigide Religion gründen, deren täglicher Ritus aus einem Bittgang zu den Plutoniumtempeln besteht, mit einem strengen Katechismus und einer Hölle, in die unweigerlich derjenige kommt, der den Frevel begeht, solch einen Tabernakel aufzubrechen.

Grimmig,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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