In der Friedensbewegung der 1970er/80er Jahre gab es oft Streit. Nicht nur die Frage nach der richtigen Strategie war Gegenstand von Zerwürfnissen zwischen den führenden Initiativen, es gab auch Leute, die mit Kerzen in der Hand für Frieden demonstrierten und ihre quengelnden Kinder anschrien. Ich habe Runden von Menschen erlebt, die sich in gewaltfreier Kommunikation übten und wüst über die übrigen Zeitgenossen – allesamt Ignoranten! – herzogen. Bei einem Vortrag bekam ich erbost vorgehalten, ich könne doch nicht für den Erhalt von Haustierrassen eintreten, wo doch sonnenklar sei, dass allein und ausschließlich der Veganismus eine freie, friedliche Welt schaffen würde.

Nun haben wir eine Oya-Ausgabe dem Thema »Verbundenheit« gewidmet, und ich frage mich nach der Arbeit an diesem Heft mehr denn je: Werden wir jemals die Selektivität, das Ausgrenzende unserer Wahrnehmung überwinden? Ist es nicht ein schrecklicher Dünkel, zu glauben, wir seien »­verbunden« – wenn sich dieses wollende Gefühl zur Hauptsache an uniforme Zeitgeist-Ikonen bindet: Bäume, meine authentische Person, Wale, Delfine, fair zu bezahlende Kaffeebauern, bald auf die Welt kommende Kinder, Geschlechtspartnerinnen und -partner, Licht (Sonne, Mond), Schatten (mein eigener), Natur, Benachteiligte, Gleichgesinnte, die ganze/dritte/eine Welt …?

Kann ich ernsthaft behaupten, ich sei ein verbundener Mensch, wenn ich einen Spalt fühle zwischen mir und: dem Computer auf meinem Schreibtisch; dem Schreibtisch selbst; dem Aktenvernichter unter demselben; dem umständlich in seinem Einkaufswagen kramenden Alkoholiker an der Supermarktkasse; den Werbemenschen, die eine Anzeige gestaltet haben des Inhalts, dass ich beim Buchen einer Flatrate jedes Jahr ein neues Smartphone bekomme; Jogi Löw; Mario Barth; der Sachbearbeiterin im Bauamt, die ihre vermeintliche Macht schamlos ausspielt und mich so behandelt, wie man zu Zeiten meiner Kindheit ABC-Schützen behandeln zu dürfen geglaubt hat; dem Mückenweibchen, das sich soeben anschickt, ein paar rote Blutkörperchen aus meinem Handrücken zu saugen; der Euromünze im Schlitz des Parkautomaten; dem Parkautomaten selbst; dem Ordnungsamtsmitarbeiter, der ungerührt seinen Strafzettel ausfüllt, obwohl ich nur fünf Minuten nach Ablauf der bezahlten Parkzeit ankomme; Angela Merkel; Issat Ibrahim al-Duri; den Evzonen auf dem Syntagma-Platz in Athen; den Nanopartikeln in der Mineralwasser­flasche; der Reiswaffel in der Speisekammer; der Zahnbürste im Spiegelschrank; den Nacktschnecken unter dem Blattsalat; dem Blattsalat selbst; dem, was ich nicht sehen kann, Herpesviren zum Beispiel; dem Filzschreiber in der Flipchart-Filzschreiberrinne; Marine Le Pen; dem Arschloch, das schon wieder auf seinem Quad durch unser stilles Dorf brettert, wo doch die Kinder gerade am Einschlafen sind; einfach mit allem, was so da ist im unendlichen Kosmos?

Kann ich mit dem Spalt, der mich von allem, mit dem ich nicht verbunden bin, trennt, verbunden sein?

Ach, Ihnen einen schönen Sommeranfang! In treuer Verbundenheit,

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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