Nein, von mir nichts zum Thema Nummer eins! – Welches das sei? Nun, welches hätten Sie denn gern: die seit Jahren vorauszusehende »überraschende« Migrationswelle? Den – für rechtgläubige Staatsbürger unfassbaren – Betrug von Volkswagen? Die – und das wussten alle schon immer – dreisten Lügen der Deutschen Bank? Die Geld- und Machtgier der FIFA-Herren? Den »Unter-Freunden-geht-das-gar-nicht«-Bundesnachrichtendienst? Die »Wenn-man-die-Hetze-weglässt-haben-sie-recht«-Zusammenrottung wenig abendländischen Werten folgender »Patrioten«? TTIP, Klimawandel – war da noch was?
Nein, ich bleibe beim Thema unseres Hefts: Kürzlich besuchte uns ein Freund zum ersten Mal – und blieb staunend vor »unserem« (wir haben ihn allerdings weder selbst gepflanzt, noch haben wir irgendetwas zu seinem Wachsen beigetragen) Walnussbaum stehen. Der ist wahrhaftig mächtig, seine Äste machen seine Krone so breit, dass sie alles überragt. Man muss 20 Männerschritte tun, um den Sommerschattenkreis zu durchmessen, den die Riesin auf den weichen Boden wirft. Viele Hundert Walnüsse sammeln wir jeden Herbst, die sind so groß wie kleine Äpfel – die Kinder machen sich einen Scherz daraus, eine »normale« Walnuss in einer sorgfältig geöffneten und wieder verschlossenen Klein Jasedower Riesennuss zu verstecken und den Gästen anzubieten. Die frischen, noch saftigen Kerne fühlen sich beim Essen an, als hätte man Springkrautfrüchte im Mund, so spritzig explodieren sie zwischen den Zähnen. Ihr lebensvoller Geschmack tröstet darüber hinweg, dass sie schwer zu trocknen sind. Lange halten würden die Walnüsse sowieso nicht, denn keiner kann an den geöffneten Nusshälften vorbeigehen, die jetzt auf allen Flächen zum Trocknen ausliegen, ohne ein paar Kerne herauszupulen und andächtig zu genießen. Weit und breit kenne ich keinen Walnussbaum von solcher Größe, der auch noch derart begeisternde Früchte lieferte.

Als ich mit unserem Freund vor dem großen mütterlichen Wesen stand, wurde uns klar, dass dieser genetische Schatz erhalten bleiben muss. Auf natürliche Weise scheint es ausgeschlossen zu sein, dass sich dieser Baum fortpflanzt, mag er unverdrossen noch so viele Samen hervorquellen lassen. Noch nie haben wir eine Nuss im Frühjahr keimen sehen, die wir im Herbst zu seinen Füßen übersehen hatten; und nirgends auf unserem weiten Gelände haben wir einen Walnusssprössling entdeckt, der aus einer von manchem Getier vertragenen und im Winter vergessenen Frucht gewachsen wäre. Kurzentschlossen zog unser Freund ein Messer aus der Hose und schnitt geübt fünf, sechs Reiser von den Astenden, kürzte sie ein und verstaute sie feucht in seinem Auto.

Nun wird unsere vorpommersche Walnuss in der Lausitz eine neue Heimat finden und dort den Artenreichtum um eine botanische Variante samt neuem Lebensraum für viele Kleine und Unsichtbare steigern. Und sie wird lokal ökonomische Vorteile bringen: Wer solche Nüsse ernten kann, muss nicht aus Kalifornien importieren. Ist das nicht Bioökonomie vom Feinsten?

Einen guten Weg in den Winter wünscht Ihnen

Ihr Johannes Heimrath (Herausgeber)

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